Kräuterdurft liegt in der Luft

Auf einem kleinen, abgelegenen Bergbauernhof im hügeligen Emmental ist dank unbändigem Innovationsgeist ein Reich der herrlichen Kräuteraromen und vielfältigen Mehlsorten für knusprig gebackenes Brot entstanden. Passend dazu steigt einem hier der Duft nach aromatischem Lupinenbohnen-Kaffee in die Nase.

Zugegeben, es gibt Orte, die leichter zu finden sind als der «Hasensprung». Trotz der Namensgebung sagen sich hier aber nicht Hase und Fuchs gute Nacht – nein, dies ist ein Ort, an dem sich Natur und Unternehmergeist im Einklang befinden sowie Heilsames und Genüssliches für Körper und Seele entsteht. Der Hof Hasensprung liegt auf der Sonnenseite, aber doch abseits der Hauptachse zwischen Aeschau und Eggiwil auf rund 900 Metern über Meer. Die vermeintliche Abgeschiedenheit ist jedoch noch lange kein Grund, sich von innovativen Bewirtschaftungsmethoden oder vom herausfordernden Bio-Bergkräuteranbau zu distanzieren. Kreativ sein statt jammern ist das bessere Rezept zum Überleben.

Diese Devise haben sich Rosmarie und Heinz Baumann 1979 bei der Hofübernahme als Pächter zu eigen gemacht. Damals wurden sie von einigen als «Spinner» belächelt, denn der Bio-Bergkräuteranbau war zu dieser Zeit noch sehr fremd und höchst gewöhnungsbedürftig für «echte» Emmentaler Bauern. Heute dürfen Rosmarie und Heinz Baumann als Pioniere bezeichnet werden. Ihr umfassendes Fachwissen können sie nach mittlerweile mehr als 40 Jahren zusammen mit ihrem Sohn Stefan und dessen Frau Christa täglich erweitern und anderen Betrieben weitergeben.

 

Ein zentraler Produktionsstandort

Begonnen haben Baumanns als Pächter auf dem kleinen Berghof. Allein von der schönen Aussicht konnte das junge Paar aber nicht leben – ein Zusatzerwerb war notwendig. Heinz Baumann bemühte sich von allem Anfang an, einen zusätzlichen Betriebszweig zu suchen, um nicht auswärts arbeiten zu müssen. Als Erstes stellte er 1986 auf den biologischen Anbau um, dann produzierte er Gemüse für einen Marktfahrer und begann nach und nach mit dem Kräuteranbau für die Vereinigung für biologischen Kräuteranbau im Schweizer Berggebiet (VBKB). Die Zusammenarbeit mit dieser Branchenorganisation wurde stetig ausgeweitet. Schliesslich entwickelte Heinz Baumann eine eigene Trocknungsanlage, welche für jede Pflanzenart die passende Temperatur zulässt. Der «Hasensprung» ist mittlerweile seit über 25 Jahren der zentrale Verarbeitungsort der Produkte für die VBKB. Waren es anfänglich zwischen drei bis vier Tonnen Kräuter, sind es mittlerweile je nach Ernteerträgen bis zu 15 Tonnen von beinahe 70 verschiedenen getrockneten Kräutersorten für Tee- und Gewürzmischungen.

 

Das Gewächshaus vor Familie Baumanns Wohnhaus und Folientunnel bieten optimale Bedingungen für die Anzucht von Kräutern und Gemüse.

Von Hasensprung-Traum bis Rachenputzer

Korn-, Sonnen- und Ringelblumen, Malven, verschiedenste Arten von Melissen und Minzen, Eisenkraut, Holunderblüten, Brennnesseln, Birkenblätter, Aroniabeeren und Ehrenpreis sind nur einige Namen aus dem vielfältigen Angebot von gegen 40 verschie-denen Kräuterarten und Beeren, die unter anderem zu Frauentee, Hasensprung-Traum, Rachenputzer, Chüjer- oder Eistee, Gute-Nacht- oder Gute-Laune-Tee verarbeitet werden. Diese Teemischungen finden mittlerweile in der ganzen Schweiz treue Abnehmerinnen und Abnehmer. Nebst einer ständig wachsenden Privatkundschaft, die ihre Online-Bestellungen in der Regel zwei Tage später im Briefkasten hat, gehören auch zahlreiche Apotheken und Drogerien landesweit zur treuen Kundschaft. Denn sie alle wissen: Was vom «Hasensprung» kommt, ist Natur pur aus dem Emmental.

Im Gespräch mit Heinz Baumann kommt zum Ausdruck, dass die Palette an Heilwirkungen der Naturkräuter um einiges grösser wäre, als sie aktuell Anwendung findet. Der Disput zwischen der Pharmaindustrie und der Naturheilmedizin verhindert eine umfassende Nutzung. Er erwähnt dabei, dass bereits Plinius der Ältere (ca. 23 bis 79 nach Christus) in seinen Botanikbüchern auf die grosse Heilkraft der Artemisia-Pflanzengattung hingewiesen hat, von der es über 300 verschiedene Arten gibt. Die Bitterstoffe und ätherischen Öle der Heil- und Gewürzpflanzen werden in der traditionellen chinesischen Medizin als Malaria-Mittel genutzt. Die Extrakte aus dem einjährigen Beifuss, wie die Pflanze unter anderem auch genannt wird, sind von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zwar zugelassen, die Übermacht der schweizerischen Pharmaindustrie erlaubt die Anwendung hierzulande aber (noch) nicht.

 

Jedem Kraut sein Plätzchen

Der Anbau der verschiedenen Kräuter erfolgt nach der biologisch-organischen Methode. Jede Pflanzenart verlangt nach ihrem idealen Platz. Während der Bärlauch oder die Schlüsselblumen am besten an feucht-schattigen Stellen heranwachsen, gedeiht der Thymian auf trockenen, sonnigen Terrassen. Basilikum liebt Wärme und wird auf dem «Hasensprung» im Gewächshaus kultiviert. Um die Folientunnel in der Winter- und Vorfrühlingszeit nicht ungenutzt zu lassen, wird bereits früh mit der Kultivierung von Frühlingsgemüse begonnen. Die Energie fürs Heizen dieser Gewächshäuser sowie für den Betrieb der Trocknungsanlage und des eigenen grossen Tiefkühlraums wird auf dem Hof selbst generiert: zum einen durch die Solaranlage, zum anderen durch die Holzzentralheizung, in welcher Holz aus dem eigenen Wald «verwertet» wird.

 

Aus erlesenen Kräutermischungen entstehen Teesorten für jeden Geschmack.

Vom Kräuterbauer zum Müller

Während Sohn Stefan Baumann mit seiner Familie den Hof Hasensprung betreibt, der mittlerweile auf 25 Hektaren erweitert werden konnte, und den Bereich «Bio-Bergkräuter» führt, sucht Senior Heinz Baumann immer wieder nach zusätzlichen Möglichkeiten, um im hügeligen Emmental und darüber hinaus Kleinbetrieben neue Betriebsmöglichkeiten und Nischen im naturnahen Anbau zu ermöglichen. So hat er sich nach dem Modell «Learning by Doing» zum Müller herangebildet. Im Jahr 2016 mietete er in Schwanden i. E. eine aus dem Jahr 1830 stammende Mühle, die bis 1986 noch von einem Wasserrad angetrieben wurde. Mittlerweile ist dort sein Sohn Simon Baumann zusammen mit Teilzeitmitarbeitenden für die Betriebsführung zuständig. Dieser kaufte die Mühle 2019 und half mit, Maschinen zur Verarbeitung von Spezialkulturen wie Lupinen, Kernotto, Leinsamen oder Buchweizen einzurichten.

Auch zwei weitere Mühlen konnte Heinz Baumann dank seines unbändigen Innovationsgeists und seines technischen Geschicks in Betrieb setzen. In beiden Mühlen ist es möglich, kleine und kleinste Mengen an Getreide verarbeiten zu lassen. Zudem werden hier sozial benachteiligte Menschen in den Arbeitsprozess eingegliedert. Wie seinerzeit beim Kräuteranbau verfolgt Heinz Baumann auch in diesem Bereich das Ziel, lokal ansässigen Bäuerinnen und Bauern neue Perspektiven zu eröffnen.

 

Genuss pur

Und so duftet es im Umfeld von Familie Baumann mittlerweile nicht mehr ausschliesslich nach verschiedensten Kräutermischungen, sondern auch nach den feinen Aromen der Korngewächse, die zu mannigfaltigsten Mehlsorten verarbeitet werden und letztlich den Frühstückstisch mit knusprigen Broten, einer feinen Züpfe und einem mühle-eigenen «Müesli» aus Dinkel- und Haferflocken bereichern. Dass Heinz Baumanns Erfindergeist, der übrigens im Jahr 2004 mit dem Innovationspreis der Region Oberes Emmental ausgezeichnet wurde, keine Grenzen kennt, zeigt seine jüngste Kreation: der koffeinfreie Kaffee aus Lupinenbohnen.

So schliesst sich der Kreis der wohlduftenden Kräuterwelt und der edlen Mühlenprodukte auf wundersame Weise beim Genuss von etwas ganz Exquisitem, das schon der Dichterpfarrer aus Lützelflüh, Jeremias Gotthelf, in seinem Roman «Uli der Knecht» trefflich umschrieben hat: «Es ist wohl nichts auf der Welt und von der Welt, was einem Weibsbilde so wohl macht und so guten Trost gibt, als ein Kacheli guten Kaffee.»

Text: Fritz von Gunten

Bilder: Sari Werlen, zvg

Zu lesen in der Ausgabe #67