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Die Flösserei im Emmental

Die Flösserei ist ein faszinierendes Kapitel in der Emmentaler Geschichte. Die Ilfis und die Emme dienten als Wasserstrasse und machten die Emmentaler auf ihren Holzflössen zu grossen Händlern. Sie nutzten die Geografie des Emmelaufs und gelangten über die Aare und den Rhein bis weit über unsere heutige Landesgrenze hinaus.

Die beiden Flüsse Emme und Ilfis erfüllten früher eine wichtige Funktion als Verkehrsweg und Transportmittel. Ein erster Bericht über den Holztransport auf den Emmentaler Gewässern stammt aus dem Jahr 1346. Über das Flössen von Holz auf der Emme wird uns um 1820 Folgendes berichtet: «Im Frühling, wenn am Hohgant der Schnee schmilzt, wenn die Emme anschwillt und das Tal auf dem Landweg vom übrigen Emmental tagelang abschneidet, bricht im Eggiwil das Flossfieber aus. Ein jeder hat das Holz schon im Januar und Februar aus dem Wald heruntergeschafft. Nun unter der warmen Märzsonne werden die Flösse zusammengebunden, eine Beige Laden drauf geschichtet und dazu noch allerhand, was sich drunten in Solothurn, im Aargau oder gar in Basel verkaufen lässt. Anken und Käse sind da sehr gefragt, auch gutes Brennholz.»

Die meisten Fahrten gingen für gewöhnlich bis in den unteren Aargau oder bis nach Basel. In der Flösser-Abrechnung von 1843 aus Eggiwil sind insgesamt 69 Flösse erfasst, die von Sorbach in Richtung Solothurn, Olten, Brugg und Laufenburg geschickt wurden. Nicht wenige Holzstämme gelangten auf dem Wasser sogar bis in die Niederlande, wo sie als Mastbäume für den Bau von Segelschiffen genutzt wurden.

Nicht nur Holz und Holzwaren wurden auf dem Wasserweg transportiert. Die Flösser exportierten Glaserzeugnisse und auch Vieh wurde bis nach Brugg und Baden befördert. Auf den sogenannten Molkeflössen wurden schwere Lasten an Käse und Butter transportiert. Die Berner Obrigkeit sah diesen lukrativen Handel jedoch nur ungern. 1597 wurde die Ausfuhr der Milchprodukte verboten, da deren Verfrachtung den Inlandmarkt schmälerte und dadurch Nachfrage und Preise auf den Märkten stiegen.

Exportschlager Holz

Holz war lange Zeit ein sehr wichtiger Exportartikel des Emmentals. Als sich ab dem 17. Jahrhundert im Mittelland der Wald durch Rodungen allmählich lichtete, bezogen die Bewohnenden des Mittellandes das nötige Bauholz zu einem grossen Teil aus dem Tal der oberen Emme. Im 18. Jahrhundert wurde Holz in verschiedenster Form aus dem Emmental ausgeführt: Bautannen, Bretter, Wagner- und Küferholz, Zaunholz und verarbeitetes Holz wie Schindeln, Drechsler- und Kübelware.

Mit dem grossen Handel übernutzten die Emmentaler ihre Wälder. Das Abholzen bewirkte eine grosse Waldzerstörung und einen Holzmangel. Zudem wurden mit den Flössen die wichtigen Schwellen und Brückenjoche beschädigt. Dies gab immer wieder Anlass zu obrigkeitlichen Verboten der Flösserei. Die bernische Regierung versuchte, den Transport auf der Emme und die Holzausfuhr zu regulieren. Das grosse Problem der Abholzung führte schlussendlich zur obrigkeitlichen Regelung der Waldwirtschaft.

Brücke über die Emme in Lützelflüh, 1780. Unter der Aufsicht des Landvogteischlosses wurde der Transport von Holz auf der Emme überwacht. Das Bild zeigt, dass auch Vieh auf den Flössen transportiert wurde. (Gouache von Johann Wolfgang Kleemann, Original im Regionalmuseum Chüechlihus Langnau, Abdruck in: Die alten Dorfmärkte des Emmentals, Fritz Häusler)

Grosser Holzbedarf

Ab 1825 brachten die von Roll’schen Eisenwerke bei Balsthal im Kanton Solothurn und im Berner Jura einen grossen Aufschwung und eine starke Beschäftigung, die durch den damals in der Schweiz beginnenden Eisenbahnbau noch gesteigert wurde. Der riesige Holzbedarf der Hochöfen in den Eisenwerken wurde auch durch die grossen Waldbestände des Schratten- und Napfgebietes abgedeckt. Auf der Emme wurden Jahresflösse von über 3000 Klafter Holz bereit gemacht. 1849 steigerte sich dieser Wert auf 10 800 Klafter und Anfang der 1860er-Jahre betrug der Holzvorrat in den Gebirgswaldungen des Emmentals und Entlebuchs sogar 52 000 Klafter. Diese mussten zusätzlich durch grosse Mengen an Holzkohle aus den Napfwaldungen ergänzt werden.

 

Der Baumstamm wird zum Transportmittel

Das damals einzig mögliche Mittel, um das Holz abzutransportieren und nutzbar zu machen, war die Flösserei auf der Emme und der Ilfis. Die Landstrassen waren bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts mangelhaft ausgebaut und nicht durchgehend mit Fuhrwerken befahrbar. Somit konnte auf dem Landweg nicht die benötigte Transportkapazität erreicht werden. Die beiden grossen Gewässer des Emmentals boten sich dagegen als ideale Transportwege an. Ohne grossen Aufwand schwamm das Holz zu den Abnehmern und zur Verarbeitung ausserhalb des bernischen Hoheitsgebiets. Vermutlich war die Flösserei lange Zeit nicht durch die Obrigkeit geregelt und es waren kaum Zollabgaben zu zahlen. Diese Freiheit bot somit einen weiteren Vorteil gegenüber dem Strassentransport.

Die Ausfuhr von Holz auf dem Wasserweg wurde gegen Ende des 16. Jahrhunderts über ein obrigkeitliches Mandat geregelt. Die Flösse mussten in Lützelflüh anhalten und die dortigen Zöllner hatten genau Buch zu führen über die Ausfuhr der Waren und Hölzer. Viele Flösser beachteten jedoch weder das Mandat noch das zeitweise Ausfuhrverbot von Holz – zu verlockend war das einträgliche Geschäft mit dem Rohstoff.

1853 war das Flössen schon streng reglementiert. Es war untersagt, mehr als drei Flösse zusammenzuhängen, und die maximale Länge durfte 30 Fuss (9 Meter) nicht überschreiten. Zur Führung eines Flosses mussten mindestens zwei kundige Flösser mitfahren.

 

Die Fahrt auf der Emme und der Ilfis

Bei der stark schwankenden Wasserführung der Emme und der Ilfis war das Flössen nur zeitweise möglich. Besonders zur Schneeschmelze mit hohem Wasserstand setzte sich in Trubschachen, Langnau und Eggiwil eine grosse Zahl an Flössen in Bewegung. Um ein Floss zu leiten, waren zwei Mann nötig. Der «Vorma» war für die Führung verantwortlich. Mit den Ruderbäumen steuerte er das Floss um Hindernisse und Untiefen herum. Der «Nahma» stand mehr im hinteren Teil und hatte die Aufgabe, das Floss im Gleichgewicht zu halten. Ihm waren auch die mitgeführten Waren anvertraut, die eher im hinteren Bereich des Flosses verstaut wurden und als Gegengewicht wirkten. Oft mussten die Flösser das Gefährt mit ihrer ganzen Kraft wieder in die Fahrrinne bringen. Die grössten Hindernisse bildeten die «Tromschwellen» (quer im Fluss stehende Schwellenwerke) und die Brückenpfeiler. Jede Flusskrümmung, jeden Wirbel und jede Strömung mussten die «Schiffer» kennen.

Die emmentalischen Flösser landeten ihre Flösse zuerst in Utzenstorf oder Biberist an. Dort wurden Waren abgeladen oder aufgenommen. Dieser Zwischenhandel war der Fuhrlohn der Flösser. Oft blieb nicht viel übrig von diesem Lohn, denn er wurde in den Pinten und Gasthöfen wieder ausgegeben und das dringend benötigte Geld kam nie bei den Familien zu Hause an.

Der Transport bis nach Solothurn dauerte gewöhnlich bis zu zehn Tage. Oft war die Fahrt in Aarburg zu Ende und die Männer begaben sich zu Fuss das Wiggertal hinauf über den Napf nach Hause. Manchmal führte die Fahrt der Emmentaler auch zum Rhein nach Basel bis nach Koblenz. Dies bedeutete eine wochenlange Abwesenheit von zu Hause.

Trift oder «Klusen» im Rebloch. Das stecken gebliebene Holz musste oft unter schwierigen Umständen gelöst und mit dem Wasser weiterbefördert werden. (Illustration von E. Rytmeyer, Berlepschs Alpen, Schweizer Landesbibliothek, Abdruck in: Die Brücke zu Lützelflüh, Max Frutiger)

Die Eisenbahn löst die Flösserei ab

Mit der Eindämmung und dem Verbau der Emme im ausgehenden 19. Jahrhundert war die Flösserei nicht mehr möglich und verschwand aus dem Landschaftsbild. Den grössten Einfluss auf den Niedergang der Flösserei hatte neben dieser Eindämmung und dem Bau neuer Strassen vor allem der Bau der Eisenbahnen in den 1850er-Jahren. Die Eisenwerke stellten ihre Öfen auf Koks um und das Brennholz wurde auf einen Schlag nicht mehr benötigt. Beim Bahntransport fiel zudem das umständliche Zubereiten der Baumstämme zu einem Floss weg. Auch das Risiko eines Schadens an Brücken und am Ufergelände sowie eines Materialverlusts fiel weg. Während der Bahntransport wetterunabhängig war, wurde die Flösserei bei Hoch- oder Niederwasser oft verunmöglicht.

 

Trift

Die Trift oder das «Klusen» war eine besondere Form der Flösserei, bei der Brennholz auf dem Wasser kleinerer Bäche zu einem Lagerplatz geflösst wurde. Das Holz in Form von Spälten und kurzen Baumstämmen wurde dabei in den Fluss geworfen und das Wasser trieb das Holz talabwärts, wo es wieder an Land gebracht wurde.

Während des Winters wurden die entasteten Stämme und das Brennholz zum Wildbach geführt und bis zur Schneeschmelze oder bis zu starkem Regen gelagert. Um die Kraft und die Menge des Wassers zu erhöhen und zeitlich auszudehnen, wurde es durch gewaltige Holzbauten, «Klüsen» genannt, gestaut. Im Frühjahr öffnete eine grössere Mannschaft das Wehr und das Wasser zog auf die im Bachbett lagernden Holzmassen los. Die Männer gingen mit Flosshaken bewehrt dem Ufer entlang und schoben ans Land gespülte Spälten und Stämme in die Flut zurück. Gar oft musste ein Holzstoss mitten im Wasserstrudel gelöst werden, was eine äusserst gefährliche Arbeit war. Eine besonders schwierige Passage war das Rebloch in Schangnau, wo die Flösser an Seilen oder an der Fluh befestigten Haken hinabsteigen mussten.

Text: Jonas Glanzmann

Bilder: Jonas Glanzmann, zvg

Zu lesen in der Ausgabe #65