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Lichtverschmutzung − das Verschwinden der Nacht

In der Geschichte der Menschheit war die Nacht stets eine Zeit der Dunkelheit. Dies änderte sich erst im 20. Jahrhundert: Künstliche Beleuchtung wurde günstiger und die Technik machte grosse Fortschritte. Die künstlich erhellte Nacht hat jedoch negative Auswirkungen: Tiere und Pflanzen werden in ihrem natürlichen Lebenszyklus gestört. Sogar die Bestäubung am Tag wird beeinträchtigt und auch die menschliche Gesundheit leidet.

«Lichtverschmutzung betrifft alle Lebewesen – auch den Menschen. Denn das Leben hat sich über Jahrmillionen an einen natürlichen Rhythmus von Tag und Nacht angepasst», sagt Vincent Grognuz. Der Biologe untersucht in seiner Doktorarbeit an der landwirtschaftlichen Forschungsanstalt Agroscope den Einfluss von nächtlicher Beleuchtung auf Bestäuber. «Die Lichtverschmutzung nimmt weiterhin enorm zu, besonders stark in Entwicklungsländern.» Satellitenbilder belegen: In der Schweiz gibt es im Mittelland keinen Quadratkilometer mehr ohne künstliches Licht.

«Es gibt viele Faktoren für das Insektensterben, einer davon ist die Lichtverschmutzung», erklärt Grognuz. «Insekten kreisen wie verrückt um Strassenlampen oder andere Lichtquellen. Dabei sterben sie irgendwann vor Erschöpfung oder sie werden von Feinden leichter erbeutet.» Schätzungen aus Deutschland gehen von durchschnittlich 150 Insekten aus, die in einer Sommernacht an einer Strassenlaterne sterben. Hochgerechnet auf das ganze Land sind das über eine Milliarde Insekten pro Nacht. Selbst auf das Leben im Wasser wirkt sich die ständige Helligkeit aus: Wasserflöhe meiden bei Beleuchtung die höheren Wasserschichten. Da die Kleintiere Algen verspeisen, können sich diese Pflanzen dort ungehemmt ausbreiten. Die mögliche Folge ist ein Sauerstoffmangel im oberen Gewässerbereich. Auch auf die Vogelwelt wirkt sich das künstliche Licht aus. Millionen von Zugvögeln sind zweimal pro Jahr auf einer langen Reise zwischen Winter- und Sommerquartieren unterwegs – oft nachts. «Sie orientieren sich dabei teilweise am Sternenhimmel», sagt Vincent Grognuz. Himmelsstrahler und grosse beleuchtete Gebäude verwirren die Vögel, sodass sie in die falsche Richtung fliegen oder bis zur Erschöpfung umherkreisen. Das Lichtermeer von Städten und Siedlungen überdeckt zudem das für die Orientierung der Vögel wichtige Sternenlicht.

 

Lichtbarrieren verhindern Tierwanderungen

Beleuchtete Strassen wirken oft als Barrieren: In einer Genfer Studie überquerten mit GPS besenderte Hirsche schmale, hell beleuchtete Strassen seltener als breite, aber relativ dunkle Autobahnen. Eine ungefährliche Strasse mit viel Licht beschneidet den Lebensraum von Wildtieren somit bereits stark. Eine ähnliche Wirkung zeigt sich bei Fischen: Hell beleuchtete Brücken halten die Wasserbewohner vom Unterqueren ab. Davon stark betroffen sind lichtempfindliche wandernde Fische wie Aale. Lichtscheu sind auch die meisten Fledermausarten. Sie meiden bereits schwaches Licht und fliegen nur in dunklen Gebieten. Besonders an Schlafplätzen und Orten der Jungenaufzucht tolerieren sie kaum Licht. Im Unterwalliser Dorf Fully werden deshalb seit 2021 im Sommer mehrere Strassen-lampen ausgeschaltet, die zwischen dem Schlafquartier der Fledermäuse − der Kirche – und ihrem Jagdgebiet liegen. So entstehen dunkle Flugkorridore für die nächtlichen Jägerinnen.

 

Intelligente Beleuchtung odervollständige Abschaltung?

Trubschachen stellte 2017 als erste Gemeinde der Schweiz die gesamte Strassenbeleuchtung auf intelligente LED-Lampen um: Die Strassenlaternen werden nur dann hell, wenn jemand vorbeiläuft oder -fährt. Ansonsten leuchten sie mit zehn Prozent ihrer Leistung. Auch in anderen Gemeinden verbreiten sich solche «Smart Lighting» genannten Beleuchtungen. Diese lösen gemäss Vincent Grognuz das Problem der Lichtverschmutzung aber nur teilweise: «Grössere Tiere wie Hirsche und Rehe aktivieren die Beleuchtung und werden so weiterhin vom Licht gestört.» Leider bringt auch eine angepasste Lichtfarbe gesamthaft gesehen nicht sehr viel für die Umwelt. «Die Lichtfarbe spielt zwar eine Rolle, aber die Wirkung ist je nach Lebewesen unterschiedlich», sagt Grognuz. «So wäre rotes Licht besser für Tiere, aber schlechter als andere Lichtfarben für Pflanzen. Am besten ist deshalb überhaupt kein Licht.» Im Val-de-Ruz im Neuenburger Jura wird dies seit 2020 umgesetzt: Zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens werden die rund 700 Strassenlampen in der aus 15 Dörfern bestehenden Gemeinde automatisch abgeschaltet. Nicht nur Wildtiere und Fluginsekten profitieren. Gemäss dem Gemeinderat hat sich seither auch die Schlafqualität der Einwohnerinnen und Einwohner verbessert.

 

Versuchsanlage mit nächtlicher Beleuchtung zur Untersuchung der Bestäubung.

Nachtlicht beeinflusst Bestäubung am Tag

Lichtverschmutzung wirkt über die Nacht hinaus. Dies zeigt sich, wenn man das Thema der Doktorarbeit von Vincent Grognuz genauer betrachtet. Diese untersucht nämlich nicht den Einfluss des künstlichen Nachtlichts auf die nächtliche Bestäubung, was naheliegend wäre. «Ich erforsche die veränderte Bestäubung durch tagaktive Insekten», erklärt Grognuz. Eine vor wenigen Jahren durchgeführte Studie von Eva Knop, leitende Wissenschaftlerin und Betreuerin des Doktorandenprojekts bei Agroscope, zeigte eine vorher unbekannte Vielfalt an nächtlichen Bestäubern: Rund 300 Insektenarten besuchten die Blütenpflanzen auf den unbeleuchteten Studienflächen in den Naturpärken Gantrisch und Diemtigtal. Pflanzen auf beleuchteten Vergleichsflächen wurden deutlich weniger oft angeflogen und bestäubt. Somit produzierten diese weniger Samen.

«Eine Folgestudie zeigte weitere überraschende Resultate», sagt Grognuz. «Auch tagaktive Insekten besuchten die nächtlich beleuchteten Pflanzen seltener.» Vincent Grognuz konzentriert sich in seiner Arbeit auf drei mögliche Erklärungen. «Durch das nächtliche Licht könnten die Blütenpflanzen eine weniger attraktive Form annehmen – bezogen auf Farbe, Duft oder Grösse.» Möglicherweise fressen aber auch durch das Licht angezogene Schädlinge wie Schnecken an den Pflanzen; beschädigte Pflanzen sind dann weniger anziehend für die Tagbestäuber. Die dritte Hypothese sieht die Feinde der Insekten als Ursache: «Spinnen, die ihre Netze vermehrt bei beleuchteten Pflanzen errichten, reduzieren dort möglicherweise die Anzahl Insekten – in der Nacht und am Tag.» Die Resultate der Doktorarbeit stehen noch aus, klar ist jedoch: Das zunehmende Licht in der Nacht verändert die Wechselwirkungen in der Umwelt auf vielfältige Weise. Mit der Bestäubung betrifft das eine enorm wichtige Funktion von Insekten: die Produktion von Samen und Früchten sicherzustellen.

 

Negativer Einfluss auf Pflanzen und Menschen

Kunstlicht beeinflusst Pflanzen auch direkt. Bei ständiger Beleuchtung wird bei einigen Arten die Photosynthese – ein grundlegender Lebensprozess – gehemmt. Direkt neben Strassenlampen blühen Bäume früher und verlieren die Blätter im Herbst später. Dadurch können sie empfindlicher auf frühe oder späte Fröste reagieren.

Beim Menschen wird der Schlaf-Wach-Rhythmus durch ein Zuviel an künstlichem Licht gestört. Besonders bei einem hohen Anteil an blauem Licht von Bildschirmen oder Handys schüttet der Körper weniger des Schlafhormons Melatonin aus. Schlafstörungen sind die Folge. Verschiedene Studien bringen zudem Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs mit einem Übermass an künstlichem Licht – wie etwa bei Schichtarbeitenden – in Verbindung.

Schnecken fressen an einer Margerite  auf dem künstlich beleuchteten Feld.

Rückzugsgebiet für Sternengucker im Gantrischgebiet
Schliesslich verdeckt die zunehmende Lichtverschmutzung nicht nur den Zugvögeln den Blick auf den für sie richtungsweisenden Sternenhimmel. Auch wir Menschen sehen immer weniger Sterne. Zwar ist das nicht gesundheitsrelevant, aber ein kultureller Verlust. Der Blick zu den unendlich weit entfernten Himmelskörpern hat schon immer Gefühle des Staunens und der Bewunderung ausgelöst. Bereits wenig künstliches Streulicht genügt, um das schwache Sternenlicht zu unterdrücken. Das zeigt der Vergleich zwischen Zürich und dem Val Müstair – einer der dunkelsten Gegenden der Schweiz. In diesem Südbündner Tal sind in klaren Nächten bis zu 5000 Sterne sichtbar – 100 Mal so viele wie in Zürich. Neben den Alpen gibt es auch im oberen Emmental noch nachtdunkle Gebiete, zum Beispiel im Napfgebiet. So treffen sich auf der Ahornalp, die bereits im Kanton Luzern liegt, regelmässig Amateur-astronomen zum Sternegucken. Auch im Gantrischgebiet zeigt sich der Nachthimmel noch voller Sterne. Der Naturpark Gantrisch wurde 2019 als erster Sternenpark der Schweiz zertifiziert; mit dem Ziel, hier die natürliche Dunkelheit der Nacht möglichst zu erhalten.

Text: Thomas Neuenschwander

Bilder: Vincent Grognuz, zvg

Zu lesen in der Ausgabe #62