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Den Sternen ganz nah

Auf dem Dach des Gymnasiums Burgdorf betreibt die «Urania, Stiftung Kindlimann» seit 1970 eine Sternwarte. Bis zu diesem Zeitpunkt befanden sich die astronomischen Instrumente 50 Jahre lang im extra dafür erbauten Gebäude «Urania» auf dem Gsteig. Simon Fankhauser, Gymnasiallehrer für Mathematik, Informatik und Physik, ist seit 2008 der oberste Sterngucker der Stadt.

Conrad Kindlimann (1849−1929), aufgewachsen im thurgauischen Kümmertshausen, gründete 1879 zusammen mit einem Kompagnon in Hasle bei Burgdorf eine Fabrik zur Herstellung von Leinwand und imprägnierten Stoffen, wo er als kaufmännischer Leiter verantwortlich zeichnete. An der Jurastrasse in Burgdorf liess er sich eine Villa bauen und war von 1881 bis 1903 Gemeinderat. Die Sichtung des Donatischen Kometen am 5. Oktober 1858 soll ihn als Neunjährigen derart beeindruckt haben, dass er der Stadt Burgdorf 1920 eine Sternwarte stiftete. Dieser äusserst helle Komet, benannt nach seinem Entdecker Giambattista Donati in Florenz, war nach Ansicht vieler Zeitgenossen einer der beeindruckendsten und schönsten Kometen des 19. Jahrhunderts. Er soll mit seinem anmutig geschwungenen Schweif Maler und Lyriker auf der ganzen Welt inspiriert haben.

Die vom 26. August 1920 datierte Stiftungsurkunde der Sternwarte Burgdorf enthält folgenden Beschrieb von Sinn und Zweck dieser Schenkung: «… den Betrieb und den späteren Unterhalt eines astronomischen Observatoriums auf dem Gsteig zu Burgdorf, das in erster Linie dem Gymnasium Burgdorf und sodann auch weiteren Kreisen zur sachgemässen Benutzung zur Verfügung stehen soll.» Nebst einem Fonds von 10 000 Franken, dem benötigten Land und einem Zeiss-Refraktor liess Conrad Kindlimann einen Rundbau mit einer halbkugelförmigen, drehbaren Kuppel in der Nähe des Gymnasiums und des Technikums erstellen. Der Standort an erhöhter Lage wurde aufgrund der ruhigen und lichtarmen Umgebung gewählt. Die Einweihung dieses auffälligen Gebäudes fand am 27. August 1920 statt.

 

Eine neue Heimat für die Sternwarte

1969 musste dieser Rundbau der Erweiterung der Chemieabteilung der Ingenieurschule weichen. So wurde die Sternwarte auf dem Dach des Gymnasiums eingerichtet und am 9. Januar 1970 eingeweiht. Vorab musste jedoch die Statik geprüft werden, weil ein zusätzlicher Aufbau auf das bestehende Gebäude geplant war und die empfindlichen Geräte stabil platziert werden mussten. Das Haus wurde mit zusätzlichem Mauerwerk verstärkt, um störende Gebäudeschwingungen zu verhindern. Das Flachdach der Sternwarte kann noch heute durch eine von Hand angetriebene Kurbel vollständig seitwärts verschoben werden und gibt die rechteckige Fläche von vier mal acht Metern frei.

Zeitgleich mit der Einweihung der Sternwarte im Gymnasium wurde die Astronomische Gesellschaft Burgdorf (AGB) gegründet, eine Sektion der Schweizerischen Astronomischen Gesellschaft (SAG). Die AGB hatte den Zweck, in «Zusammenarbeit mit der Kindlimann-Stiftung die Verbreitung und Förderung der astronomischen Wissenschaft und verwandten Gebieten» einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dies wurde unter anderem durch Ausstellungen, Vorträge und Exkursionen auch über viele Jahre gelebt. Daneben erschien viermal jährlich das Mitteilungsblatt «KOMET». nach dem überraschenden und unerwarteten Tod von Präsident Martin Widmer ist der Verein aktuell nicht mehr aktiv.

Links: Seit 2008 ist Simon Fankhauser zuständig für die Sternwarte Burgdorf. Er ist Lehrer am Gymnasium Burgdorf – eine von der Stiftung definierte Voraussetzung, um dieses Amt ausüben zu können.

Eine Welt voller Geheimnisse und einzigartiger Schönheit

Als eine der ältesten Wissenschaften hat die Astronomie die Menschen schon immer fasziniert. Bereits in den alten Kulturen Ägyptens und Griechenlands betrachtete man interessiert und beeindruckt den nächtlichen Sternenhimmel und versuchte, ihm mit einfachen Beobachtungen seine Geheimnisse zu entlocken.

Um den Himmel über Burgdorf zu erforschen, bestand die Ausrüstung von 1920 aus einem Zeiss-Refraktor mit einer Öffnung von 13 Zentimetern und einer Brennweite von 195 Zentimetern. Damit kann eine 30- bis 398-fache Vergrösserung erreicht werden. Dieses Gerät steht noch heute im Einsatz. Fernrohre müssen nachgeführt werden, damit das anvisierte Himmelsobjekt in der Gesichtsfeldmitte bleibt. Ohne Nachführung würde ein Stern bei starker Vergrösserung aus dem Blickfeld verschwinden. Beim Zeiss-Refraktor ist dafür eine mechanische Fliehkraftkuppelung eingebaut, die ebenfalls noch aus den Ursprungszeiten von 1920 stammt.

2016 wurde ein zweites Teleskop angeschafft, das Celes-tron 14, mit einer Öffnung von 14 Zentimetern und einer Brennweite von 3910 Millimetern. Hier erfolgen die Nachführung und viele andere Einstellungen per Handy.

Beide Fernrohre stehen auf massiven Betonsockeln, abgestützt auf einer grossen Grundplatte ohne direkte Verbindung zum Fussboden, auf dem die Besuchenden stehen. Dadurch wird eine stabile und ruckelfreie Sicht auf das Firmament gewährleistet und es können nebst den mit blossem Auge leicht zu erkennenden Himmelskörpern wie Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn weitere Planeten und Sterne bewundert werden. 

Felix Grütter, Rektor des Gymnasiums Burgdorf, am Instrument, 1960er-Jahre.

Öffentliche Führungen

Seit 2008 ist Simon Fankhauser verantwortlich für die Sternwarte Burgdorf. Der ausgebildete Astronom und Physiker ist Lehrer am Gymnasium und betreut die astronomische Beobachtungsstation in seiner Freizeit. Jeden Mittwochabend bei guter Witterung besteht für die Öffent-lichkeit die Möglichkeit, die Sternwarte nach telefonischer Voranmeldung zu besuchen. Daneben werden auf Wunsch für Vereine oder interessierte Gruppen Vorführungen veranstaltet. In früheren Jahren waren diese Veranstaltungen von grossem öffentlichem Interesse. Auch heute noch vermag die exakte Sternsuche, die Beobachtung der Mondmeere oder der kreisenden Jupitermonde die Besuchenden zu begeistern.

Text: Anna Hofer

Bilder: Marco Meneghini, zvg

Zu lesen in der Ausgabe #62