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Von Goldgräbern, Abenteurern und Ausgewiesenen

Im Jahr 1848 war nicht nur die Bundesverfassung in aller Munde, auch ein anderes Ereignis im Grossraum Emmental stiess auf reges Interesse: der Goldfund in Sacramento (Kalifornien) in der Kolonie von Johann August Sutter. Der aus Burgdorf ausgewanderte Pionier rückte die Thematik «Migration» ins Zentrum der öffentlichen Diskussionen.

Vor rund 175 Jahren, am 24. Januar 1848, wurde dort, wo sich heute die kalifornische Hauptstadt Sacramento ausbreitet, eine schicksalhafte Entdeckung gemacht. Beim Bau eines Sägewerks in der Kolonie Neu-Helvetien, die dem Schweizer Johann August Sutter gehörte, fand der Mitarbeiter James W. Marshall Gold. Damit war das Schicksal der Kolonie besiegelt. Aus allen Teilen der Welt trafen Goldsucher und Abenteurer ein, die wie Heuschrecken über Neu-Helvetien herfielen, es verwüsteten und ausbeuteten. Der «reichste Mann der Welt», wie Sutter damals genannt wurde, konnte aus dem Goldfund jedoch keinen Nutzen ziehen. Im Gegenteil: Er führte Sutter in den Ruin.

Dieses folgenschwere Ereignis war 100 Jahre später Auslöser für eine breite öffentliche Diskussion über die Auswirkungen der Auswanderungswelle und der Migrationsprobleme. Nebst Schicksalen von Abenteurern wurden auch jene von Menschen thematisiert, die aus Not und Hunger die Schweiz verlassen mussten oder die auf behördlichen Druck zum Auswandern gezwungen wurden. Diskussionen übrigens, die auch heute auf breiter Ebene geführt werden.

 

Flucht aus Burgdorf

Johann August Sutter (1803–1880) wuchs in Kandern, Süddeutschland, auf und absolvierte eine kaufmännische Lehre in der Thurneysen’schen Druckerei und Verlagsbuchhandlung in Basel. 1824 kam er nach Burgdorf, wo er als Handelscommis bei Salzfaktor Aeschlimann tätig war und später ein eigenes Tuchwarengeschäft betrieb. In Burgdorf war Sutter ein aktiver Besucher des sogenannten Kaltwasserleistes, eines 1820 gegründeten literarischen Zirkels, dessen Mitglieder sich regelmässig im zweiten Stock des Burgdorfer Stadthauses trafen. Sutters Geschäft lief trotz vieler persönlicher Kontakte nicht besonders gut und als gar der Konkurs seiner Firma Johann August Sutter & Co drohte, verliess er im Mai 1834 unter mysteriösen Umständen seine Frau und die Kinder und überliess sie der öffentlichen Fürsorge. Er reiste über Frankreich nach Amerika aus, wo er in Kalifornien nach und nach ein Imperium aufbaute. Johann August Sutter, der Begründer von Neu-Helvetien, erlangte seinen Reichtum unter anderem durch Sklavenhandel und den Verkauf indianischer Kinder. Trotzdem galt Sutter sowohl in Nordamerika wie auch in der Schweiz als eine schillernde Figur mit grossem Mythos.

Sein Leben inspirierte Romanciers wie auch Filmemacher. Während Blaise Cendrars 1925 in seinem Roman «Gold» noch ein sehr schmeichelhaftes Bild über «die fabelhafte Geschichte des Generals Johann August Sutter» niederschrieb, musste das 1987 von der Auslandschweizergemeinde in Sacramento errichtete Sutter-Denkmal im Rahmen der «Black Lives Matter»-Bewegung im Jahr 2020 wieder entfernt werden. Die Leitung des Krankenhauses, vor dem die massive Bronzestatue stand, liess verlauten, dass das Denkmal wegen Sutters Machenschaften und aus Respekt gegenüber den damaligen Sklaven- und Kinderopfern abgebaut werde.

 

Vielfältige Gründe für Auswanderungen

Das familiäre Umfeld und die Abenteuerlust waren nicht die einzigen Gründe, warum viele das Emmental verliessen, um im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ihr Glück zu finden. Im 16. Jahrhundert etwa waren es die zwangsweisen systematischen Vertreibungen der Täufer, die zur Flucht aus der Heimat führten. Auch das Erbrecht, das bestimmte, dass der jüngste Sohn den elterlichen Hof übernehmen sollte, führte dazu, dass die zum Teil weit mehr als zehn Kinder aus den Grossfamilien genötigt waren, sich ihren Lebensunterhalt anderswo zu sichern.

Rekonstruktion der Sägemühle in Coloma, Kalifornien. Für den Ausbau seines Forts in Neu-Helvetien liess Johann August Sutter am American River eine Sägemühle bauen. Im Wasserkanal fand James W. Marshall 1848 das erste Goldnugget, was zum grössten Goldrausch der Geschichte führte.

 

Sowohl die Originalstatue von Johann August Sutter als auch die Kopie im Schloss Burgdorf liegen mittlerweile auf dem Rücken.

Ein Naturereignis und seine gravierenden Folgen

Als 1815 in Indonesien der Vulkan Tambora ausbrach, trübte die riesige Aschewolke den Himmel bis nach Europa und das spärlich vorhandene Sonnenlicht führte zu grossen negativen Auswirkungen auf das Klima und das Wachstum der landwirtschaftlichen Kulturen. Die Folgejahre 1816 und 1817 gingen als «Jahre ohne Sommer» in die Geschichte ein. Die Ernteausfälle führten in der wirtschaftlich ohnehin angeschlagenen Zeit zu Teuerung, Massenarmut und Hungersnot. Wer überleben wollte, war gezwungen, sein Glück anderswo zu suchen. Zudem wurden viele unter obrigkeitlichem Druck gar zur Auswanderung gezwungen. Es mag kaum überraschen, dass heute jede 53. Person in der Schweiz ihre Wurzeln im Emmental hat. Zählt man nämlich alle heimatberechtigten Bürgerinnen und Bürger der emmentalischen Gemeinden zusammen, kommt man rasch auf 180 000 Personen. Allein Langnau i. E. mit rund 55 000 Heimatberechtigten und 83 Bürgergeschlechtern und Trub mit gegen 45 000 Heimatberechtigten und 57 Familiennamen prägen dieses Faktum! Es erstaunt daher wenig, wenn auf einer der Kirchenglocken im Trub, 1926 von auswärtigen Bürgern gestiftet, zu lesen ist: «Manch Truber sein Brot in der Fremde ass – Ich zeuge, dass er sein Tal nicht vergass!»

 

Behördlich verfügte Auswanderungen

Den Hungerjahren 1816 und 1817 folgten von 1851 bis 1854 und von 1880 bis 1889 weitere und bestärkten den grossen Exodus, der von zahlreichen Gemeinden im Emmental, aber auch vom Kanton gar finanziell gefördert wurde. Diese Abwanderung betraf nicht nur Armengenössige, sondern auch Straffällige, wie aus einem Protokollauszug vom März 1857 hervorgeht. Der damalige Vorsteher des Departements des Innern und nachmalige Bundesrat Karl Schenk schrieb dem Verwalter der Zwangsarbeitsanstalt Thorberg unter anderem: «… nachdem der Grosse Rat einen Credit von Fr. 18’000 bewilligt hat, gedenke ich wieder einen bedeutenden Theil dieser Summe auf die Auswanderung von Sträflingen der Zwangsarbeitsanstalt zu verwenden, weil dieser Credit auf keine andere Weise besser verwendet werden kann, als auf Unterstützung solcher Individuen, die auf der einen Seite, wenn sie noch nicht gänzlich verdorben sind, in einem fremden Lande, wo ihnen der Makel der Enthaltung in einem Arbeitshause nicht vorgehalten wird, sich wieder emporschwingen können … daher deren Auswanderung sowohl in ihrem eigenen Interesse als in demjenigen des Staats und der Gemeinden liegt!» Schenk ersuchte dann den Anstaltsverwalter «… um Einreichung eines Verzeichnisses sämtlicher Sträflinge mit Angabe des Heimatortes, Alters, Vergehens, Dauer und Auslauf der Strafe und besonders, ob auswanderungsfähig …».

Im Weiteren berechnete der Magistrat die Rentabilität, als er dem Anstaltsleiter schrieb: «… aus den gemachten Berechnungen ergibt sich, dass die durchschnittlichen Verpflegungskosten eines Sträflings beinahe ebenso hoch zu stehen kommen, als deren Auswanderungskosten und die allfälligen Mehrkosten durch den Vorteil mehr als aufgewogen werden, dass die Sträflinge nach ihrem Austritt aus der Anstalt nicht mehr der öffentlichen Sicherheit schaden oder sonst zur Last der Gemeinden wie des Publikums sich umhertreiben …»

Das Gebiet von Sacramento wurde immer wieder überschwemmt, Sutter sen. wollte deshalb etwas erhöht die Stadt Suttersville gründen (Bild Stadtplan). Den Bezirk gibt es heute noch. Die Stadt Sacramento hat Johann August Sutter jun. entgegen den Absichten seines Vaters gegründet.

Auswanderungsagenturen

verdienen sich eine goldene Nase

Die grosse Auswanderungswelle, freiwillig oder befohlen, führte ab den 1850er-Jahren schweizweit zu einem neuen Wirtschaftszweig. Neun sogenannte Auswanderungs-agenturen mit über 350 Agenten – heute spricht man meistens von «Schleppern» − bearbeiteten als profitorientierte Unternehmen den damaligen Wachstumsmarkt und verdienten sich eine goldene Nase.

Verschiedene Reisebüros und Speditionsfirmen unserer Zeit haben ihre Wurzeln im ehemaligen Auswanderungswesen. Auch in der für das Emmental wichtigen Käsebranche sind die negativen Auswirkungen von damals bis heute nachhaltig spürbar. Mit den Ausgewiesenen verlor die Region viel fachliches Wissen und berufliches Können. Zahlreiche Berufskäser etwa zogen in die weite Welt, was dazu führte, dass der Emmentaler Käse mittlerweile weltweit produziert wird. Dies zum Leidwesen der heutigen «Emmentaler»-Produzenten, die das AOC-Label gerne für sich beanspruchen möchten.

 

Prominente Nachfahren

Dass Auswanderungen auch von Erfolg gekrönt sein können, zeigen die Beispiele einiger Nachkommen einstiger Migranten wie der ehemaligen Nummer zwei von Microsoft, Steven Ballmer, des bekannten American-Football-Spielers Ben Roethlisberger oder des Tesla-Gründers Elon Musk. Sie alle sind im Emmental verwurzelt.

Text: Fritz von Gunten

Bilder: Werner Lüthi, Fritz von Gunten, zvg

Zu lesen in der Ausgabe #61