Der Bonsai – ein Baum mit Geschichte(n)
Bonsais sind anspruchsvolle Gewächse: Sie wollen gehegt und gepflegt werden und jedes Bäumchen hat seinen eigenen Sonnen- und Wasserbedarf. Karl Schläfli ist sich der Besonderheiten der Miniaturbäume bewusst und umsorgt seine Bonsai-Sammlung mit viel Liebe und Hingabe.
In einem kleinen Quartier auf der Grenze zwischen Burgdorf und Oberburg lebt Karl Schläfli mit seiner Frau Cornelia. Das Haus und seine Umgebung wirken auf den ersten Blick unscheinbar. Ein Sitzplatz mit einem Tisch und Stühlen, ein Gemüsebeet und ein kleines, halbrundes Treibhaus sind zu erkennen. Auf den zweiten Blick wird jedoch schnell klar, welche Schätze in diesem Garten zu finden sind. An der Hauswand vor dem Sitzplatz gibt ein prächtiger Bonsai einen Vorgeschmack auf Karl Schläflis Sammlung, die sich um die Ecke der Hausseite entlang weiterzieht.
Das Bonsai-Virus
Vor rund 40 Jahren befiel Karl Schläfli das Bonsai-Virus. Angesteckt wurde er bei seinem zwischenzeitlich verstorbenen Schwiegervater. Von ihm stammt auch der prächtige Bonsai auf der Vorderseite des Hauses. Dieser Baum ist Schläflis absoluter Lieblingsbonsai. Die Pflanze sei schon 80 Jahre alt und habe mittlerweile einen Wert von 4000 bis 8000 Franken, schätzt Schläfli. Auch die anderen Bonsais aus seiner Sammlung hätten eine eigene Geschichte, erzählt er weiter. Manche seien 20 Jahre, andere erst 2 Jahre alt. Und jeden Baum verbindet Karl Schläfli mit einer seiner Lebensphasen.
Wie entsteht ein Bonsai?
Das Prinzip des Bonsais ist einfach: Durch den Topf werden der Baum und insbesondere sein Wurzelwachstum eingeschränkt. Weil seine Nahrung knapp ist, wird er nur so gross, dass er sich noch ernähren kann. Zusätzlich wird der Bonsai von Anfang an durch verschiedene Form- und Schnitttechniken beliebig gestaltet. Dabei wird unter anderem mit Drähten und Schnüren gearbeitet. Ein Ast kann an den Stamm gebunden werden oder die Äste werden mit Drähten umwickelt und können so gebogen werden. Karl Schläfli stellt klar: «Diese Gestaltungstechniken schaden den Bonsais nicht, die Bäume sind ja nicht krank, nur klein.» Schläfli beschränkt sich jedoch auf den Formschnitt, ihm gefällt der natürlich aussehende Bonsai besser.
Grundsätzlich können alle Bäume zum Bonsai geformt werden, es eignen sich aber nicht alle Arten gleich gut. Karl Schläfli besitzt unter anderem die Sorten Roter Ahorn, Mädchenhaarbaum, Goldregen, Haselnuss, Buche, Linde, Chinesischer Wacholder und Japanische Ulme – sie alle sind für die Bonsai-Zucht geeignet.
Die Bonsai-Kunst hat ihren Ursprung im Kaiserreich China und heisst dort «Penjing», was übersetzt «Miniaturlandschaft» bedeutet. «Bon-Sai» ist die japanische Form und bedeutet «Baum im Topf».
Ein aufwendiges Hobby
Aktuell besitzt der pensionierte Polizist rund 35 Miniaturbäume, was mit viel Aufwand verbunden ist. Jeden Tag müssen die Pflanzen gewässert werden, was rund eine Stunde in Anspruch nimmt: «Wenn ich es einmal vergesse, ist der Bonsai am nächsten Tag kaputt», erklärt Schläfli. Während seiner Ferien muss deshalb eine zuverlässige Vertretung die Bonsai-Pflege übernehmen. Glücklicherweise wohnt seine Schwester im selben Haus und übernimmt diese Aufgabe jeweils. Die Wasserversorgung der Bäume stellt Schläfli zudem mit einer selbst gebauten Vorrichtung sicher: In einigen Töpfen stecken Drähte als Halterungen für kleine Flaschen, aus denen nach und nach Wasser auf die Bonsais tröpfelt.
Im Winter pflanzt Schläfli seine Bonsais mitsamt Topf in den Gemüsegarten und wenn er sie im Frühling wieder ausgräbt, steht der Formschnitt an. Die Pflanzen müssen ab und zu auch umgetopft werden, wobei man überflüssige Wurzeln abschneidet. «Meine Bonsais benötigen eindeutig mehr Pflege als unsere Katze», lacht Karl Schläfli.
Jeder Bonsai hat einen individuellen Wasser- und Sonnenbedarf. Diesem Umstand wird Karl Schläfli gerecht, indem er auf die Platzierung der Bäume achtet. Auf der rechten Hausseite, wo die meisten Bonsais stehen, sind sie durch den Dachvorsprung vor Unwettern und zu viel Regen geschützt. Ausserdem bekommen sie so nur Morgensonne, was ideal ist. Beim Wässern verwendet Schläfli zudem nur Regenwasser, weil es weniger Kalk enthält und somit gesünder ist für die empfindlichen Pflanzen.
Die aufwendige Pflege der Bonsais erfordert auch das richtige Werkzeug. Die Äste können mit Drähten umwickelt und so gebogen werden, ohne dem Bäumchen zu schaden.
Der Lohn für die harte Arbeit
Doch weshalb betreibt man einen solchen Aufwand für Pflanzen, die keinen Ertrag bringen? Für Karl Schläfli sind die Bonsais eine Leidenschaft und ein Hobby, die ihn schon sein ganzes Leben lang begleiten. Bescheiden verneint er die Frage, ob seine Pflanzen für ihn auch eine Kunstform seien. Er gibt aber zu, dass die spezielle Ästhetik der Bonsais eine seiner Hauptmotivationen ist: «Es ist einfach faszinierend.» Seine Frau Cornelia ergänzt: «Das Ziel ist es vielleicht auch, einen Bonsai fertig zu gestalten, also perfekt zu formen. Das wird natürlich nie möglich sein, da die Bäume nicht aufhören, sich zu verändern und zu wachsen, aber das ist gerade das Schöne daran.»
Momentan hat Karl Schläfli ein konkretes Ziel vor Augen, denn in seiner «Krankenstation» stehen zwei Bonsais der Sorte Azalee. Das ist eine der Bonsai-Sorten, deren Aufzucht Schläfli noch nicht gemeistert hat. Früher besass er bereits grössere Azaleen, die jedoch nicht überlebt haben. Das will er nun ändern und er gibt eine zuversichtliche Prognose ab: «Die werden schon bald gelingen.» In den vier Jahrzehnten, in denen Schläfli seiner Leidenschaft nachging, musste er immer wieder Rückschläge hinnehmen. Die Gründe dafür, warum eine Pflanze aufgegeben werden muss, sind vielfältig. Über dieses Thema spricht Schläfli merkbar ungern: «Es ist frustrierend, einen Bonsai aufgeben zu müssen, für den man viel Aufwand betrieben und den man mit Leidenschaft gepflegt hat.» Deshalb pflanzt er gewisse Bonsais, die verkümmert sind, in den Wald, wo sie natürlich wachsen können und zu einem normal grossen Baum oder Strauch werden. Schläfli merkt sich die Plätze und besucht diese auf seinen Spaziergängen.
Karl Schläfli hat den grünen Daumen, den es für Bonsais braucht. Seine Frau Cornelia teilt sein Interesse für spezielle Pflanzen. Gemeinsam unterhalten sie einen Schrebergarten, auf dem sie unter anderem Safran anpflanzen. Vor dem Haus steht ein Mandelbaum und der Gemüsegarten will ebenfalls gepflegt werden. Doch die Bonsais sind Karl Schläflis Ding: «Das ist sein Hobby», meint seine Frau dazu.
«Unsere Kinder wurden nicht vom Bonsai-Virus befallen», sagt Karl Schläfli. Das störe ihn aber nicht. Vielleicht sehe das bei den Enkelkindern ja mal anders aus, fügt er schmunzelnd an.
Text: Livia Bieri
Bilder: Marco Meneghini, Felix Brodmann