Denk mal – ein Denkmal
Erinnerungsstätten, Gedenksteine, Wahrzeichen, Schrifttafeln an Wohnhäusern und öffentlichen Gebäuden, Büsten und Standbilder in Parkanlagen, Obelisken, Medaillons, Brunnen, Naturdenkmäler, Mahnmale und vieles mehr begegnen uns auch im Emmental fast auf Schritt und Tritt. Sie sind gefertigt aus Stein, Marmor, Eisen, Holz und anderen Materialien, und allesamt nennen wir sie «Denkmäler».
Ohne eine bestimmte Leistung, ohne ein herausragendes Ereignis stünden diese Objekte nicht dort, wo wir ihnen begegnen. Viele Denkmäler, denen man auch im Emmental begegnet, stehen für Ereignisse, die zeitlich weit zurückliegen. Hinter ihnen ist eine besondere Geschichte verborgen. Sie regen an zum Nachdenken. Oft fehlen aber minimalste Informationen vor Ort über das Warum. Es ist daher kaum verwunderlich, dass sich heutige Generationen nur noch wenig dafür interessieren. Die Lebenslust Emmental will mit dem nachfolgenden Beitrag die Lust wecken, sich auf den Weg zum einen oder anderen Denkmal und der verborgenen Geschichte zu begeben.
Mehr als 31 Jahre Bundesrat
Carl, wie er im Volksmund genannt wurde, könnte in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag feiern. Er darf wohl als einer der herausragendsten Politiker der Schweiz bezeichnet werden. Am 8. Juli 1895, in seinem 31. Amtsjahr als Bundesrat, wurde er in der Stadt Bern beim Bärengraben von einer herannahenden Kutsche erfasst, als er einem taubstummen Bettler einen Almosen geben wollte. Er erlitt dabei eine schwere Gehirnerschütterung und kam nicht mehr zu Bewusstsein. Zehn Tage nach dem Unfall verstarb er.
Nach einem Theologiestudium wirkte er als Pfarrer in Schüpfen. Anfänglich zum traditionsverbundenen Klerus gehörend, wandte er sich dem Liberalismus zu und nahm am zweiten Freischarenzug und 1847 als Feldprediger am Sonderbundkrieg teil. 1855 wurde er bernischer Regierungsrat, 1856 Ständerat. Fünf Tage nach seiner Wahl zum Ständeratspräsidenten wurde er am 12. Dezember 1863 als liberal-radikaler (heute FDP) in den Bundesrat gewählt. Er war sechsmal Bundespräsident und mit über 31 Jahren wohl am längsten Mitglied der Landesregierung. Von 1873 bis 1882 war er auch Präsident des «Hülfsverein für schweizerische Wehrmänner und ihre Familien», aus dem später das Schweizerische Rote Kreuz hervorging. Für seine grossen Verdienste in der Armutsforschung erhielt er 1859 die Ehrendoktorwürde der Universität Bern. Mit Ausnahme weniger Jahre leitete Schenk das Departement des Inneren. Dazu gehörten die Bereiche Kunst und Kultur (Aufbau des Landesmuseums), Statistik, Eisenbahnen und andere Infrastrukturbauten, Archive, Bibliotheken (Aufbau der Nationalbibliothek), Forst- und Landwirtschaft, Immobilien des Bundes und die Oberaufsicht über das Polytechnikum (heute ETH Zürich). Zusammen mit Alfred Escher setzte er sich beim Eisenbahnbau für die Gotthardlinie ein. Bei der Teilrevision der Bundesverfassung 1866 machte er sich für die Gleichberechtigung der Juden stark.
Schenk galt als begeisterter Wanderer. 1872 wanderte er mit seinen Söhnen vom Genfersee über Grenoble nach Marseille. Unterwegs wurde er von einem französischen Gendarmen als Landstreicher verhaftet und vom beschämten Präfekten erst wieder frei gelassen, als er seinen Diplomatenpass zeigte. Zurück ging es zu Fuss über Genua, Mailand und den Grimselpass ins Berner Oberland und nach Signau.
«Niene geit’s so schön u lustig …»
In Signau hat nebst Carl Schenk ein weiterer Mitbewohner bleibende Spuren hinterlassen, die vor allem jenen unvergessen sind, die zur Leserschaft der Berner Zeitung (BZ) gehören oder ab und zu im Freundschaftskreis ein Lied singen. Oder wer hat das bekannte Emmentaler-Lied «Niene geit’s so schön u lustig» nicht schon mal gesungen? Es entstammt der Feder von Christian Wiedmer, der als Sohn eines Schneiders geboren wurde. Als aufgeweckter Schüler soll er seinen Lehrer mit Glanzleistungen verblüfft und mit Schabernack erschreckt haben. Als Fünfzehnjähriger begann er in Basel eine Mechaniker-Lehre, brach sie ab und erlernte in Lauperswil das Schlosser-Handwerk. Nach Wanderjahren im Elsass eröffnete er in Signau eine Werkstatt, wo er Kassen mit kunstreichen Schlössern, Dezimalwaagen, Dörröfen und Jaucheverteiler herstellte. Er interessierte sich sehr für Politik und zählte zu den fortgeschrittenen Liberalen, den «Weissen». Diese waren für den in Lützelflüh amtierenden Pfarrer Albert Bitzius (Jeremias Gotthelf) zu wenig nahe am Christentum. So kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Wiedmer nahm 1847 persönlich am Sonderbundkrieg teil.
1845 wurde in Langnau das Wochenblatt des Emmentals (heute BZ) gegründet. Nach zwei Jahren übernahm Wiedmer die Redaktion und publizierte am 1. Oktober 1847 das bekannte Emmentaler-Lied «Niene geit’s so schön u lustig». Als grosser Hundefreund hatte er einen schwarz-weissen Pudel, dem er eine Blechbüchse um den Hals gebunden und den er so abgerichtet hatte, dass dieser Manuskripte von Signau auf die Redaktion des Wochenblatts in Langnau überbringen konnte. Auf dem Halsband stand eine Inschrift: «Leut’, seid gescheit und lasst mich frei passieren, ich muss das Emmenthaler-Blatt spedieren. Denn wisset: Ich bin Schlosser Wiedmers Pudel. Zwar nur ein Hund – doch weder Schelm noch Hudel.»
Ein weltoffener Emmentaler
Friedrich Traugott Wahlen verkörpert die typischen Werte der traditionellen Emmentaler Kultur. Fritzli, wie er in seiner Gemeinde und von Freunden genannt wurde, kam 1899 als sechstes Kind einer Lehrerfamilie zur Welt. Sein Geburtsort ist der kleine Weiler Gmeis in der Gemeinde Mirchel, die zwischen Konolfingen und Zäziwil am westlichen Eingang zum Emmental liegt. Seine ländliche Herkunft war für Wahlen sehr prägend, wie ein von ihm verfasster Artikel bezeugt: «Im Dörfchen Gmeis herrschte um die Jahrhundertwende noch durchwegs ein Leben Gotthelf’scher Prägung. Ich betrachte es als ein Geschenk, an einem kleinen Ort abseits von Menschen- und Verkehrsgetümmel geboren worden zu sein, wo das Kind die Freude an den Schönheiten der Natur erlebt und wo in ihm die Neugierde nach dem Geschehen in der Pflanzen- und Tierwelt geweckt wird.»
Wahlen schloss ein Studium der Agronomie an der ETH Zürich ab. Nach Aufenthalten in Deutschland, Holland und England sowie Kanada kehrte er zurück in die Schweiz, wo er von 1943 bis 1949 als Professor für Pflanzenbau an der ETH Zürich wirkte. 1949 wurde er als Direktor der Abteilung Landwirtschaft an die FAO, die Welternährungs-Abteilung der UNO, nach Rom berufen.
Johann Carl Emanuel Schenk (1. Dezember 1823 – 18. Juli 1895)
Reformierter Pfarrer, bernischer Regierungsrat, Ständerat, Bundesrat mit der bisher längsten Amtsdauer von mehr als 31 Jahren
Vater der Anbauschlacht
Drehen wir das Rad der Zeit gedanklich in die Jahre des Zweiten Weltkriegs zurück: Die kleine Schweiz ist nach dem Fall Frankreichs ab 1940 von den übermächtigen Achsenmächten Deutschland und Italien eingeschlossen. Totaler Importausfall, Hungersnot, politische Erpressung und Invasion heissen die möglichen Folgen für unser Land. Da überzeugt ein Mann mit Emmentaler Abstammung die Landesregierung und das Schweizer Volk von einem «landwirtschaftlichen Anbauplan», seiner Idee der Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln. Es ging darum, die Acker-baufläche erheblich zu erweitern, um mehr Kartoffeln, Gemüse, Weizen und andere Ackerfrüchte anbauen zu können. Geistiger Vater dieses zündenden Gedankens, der in der Folge auch erfolgreich umgesetzt wurde und unter dem Namen «Plan Wahlen» oder «Anbauschlacht» bekannt wurde, war eben dieser Friedrich Traugott Wahlen. Mit seinem Vortrag vom 15. November 1940, der quasi als landwirtschaftlicher «Rütli-Rapport» aufgenommen wurde, sensibilisierte er die schweizerische Öffentlichkeit. Im Rahmen der Anbauschlacht wurden sogar Grünanlagen in Städten zur Anpflanzung von Kartoffeln, Zuckerrüben und Getreide genutzt, so dass der Selbstversorgungsgrad von 52 Prozent (1939) auf 72 Prozent (1945) gesteigert werden konnte. Interessant ist, dass gerade in unseren unsicheren Zeiten (Corona, Ukrainekrieg, Energieknappheit) Gedanken für eine «Anbauschlacht» hier und dort wieder intensiver diskutiert werden! Denk – mal!
Bundesrat – Mann der Öffentlichkeit
1958 wurde Wahlen als Vertreter des Kantons Bern in den Bundesrat gewählt. Er führte von 1959 bis 1960 das Justiz- und Polizeidepartement und war 1959 wegen der Erkrankung von Giuseppe Lepori gleichzeitig für das Post- und Eisenbahndepartement verantwortlich. 1960 wechselte er ins Volkswirtschaftsdepartement und übernahm von 1962 bis zu seinem Rücktritt im Jahre 1965 die Leitung des Politischen Departements.
Als Bundesrat setzte sich F.T. Wahlen 1963 erfolgreich für die Vollmitgliedschaft der Schweiz im Europarat ein, also für die Mitsprache unseres Landes in Menschenrechtsfragen. Auch an einer Vermittlerrolle der Schweiz in der UNO war er sehr interessiert; der eigentliche UNO-Beitritt der Schweiz erfolgte jedoch erst im September 2002. Weitsicht bewies er im Bemühen als Bundesrat, mit dem zusammenwachsenden Europa der 1960er-Jahre in ein gutes Verhältnis zu kommen, ohne Neutralität, Föderalismus und direkte Demokratie aufgeben zu müssen. Schon damals erkannte Wahlen die Probleme des aufkommenden Wohlstands. Nach seinem Rücktritt 1965 engagierte sich F.T. Wahlen als einer der ersten prominenten Befürworter für das Frauenstimmrecht. Toleranz zeigte er als Protestant im Einsatz für die Aufhebung des aus der Zeit des Sonderbundkrieges stammenden Jesuitenverbots in der Bundesverfassung. Schliesslich gehörte er auch dem «Rat der vier Weisen» an, der eine einvernehmliche Lösung der Jurafrage finden sollte. Sein Denken und Wirken gründete in der Verpflichtung, die dem Glauben und dem Grundsatz der Nächstenliebe entspringt.
Vor 370 Jahren:
Emmentaler Bauern vor der Stadt Bern
Niklaus Leuenberger aus Rüderswil und der Eggiwiler Uli Galli waren die prägenden Persönlichkeiten, die vor 370 Jahren im Bauernkrieg (1653) zwischen der Obrigkeit in der Stadt Bern und den Untertanen aus dem Emmental und Entlebuch an vorderster Front kämpften. Zahlreiche Erinnerungsstätten mahnen an dieses düstere Kapitel der Geschichte.
Leuenberger – Obmann der Bauern –
«Bauernkönig»
Niklaus Leuenberger wurde an der Bauernversammlung vom 23. April 1653 in Sumiswald zum Obmann des Bauernbundes und Anführer der aufständischen Bauern gewählt. Der Schweizerische Bauernkrieg war ein militärischer Konflikt zwischen den städtischen Obrigkeiten und den ländlichen Untertanen, der seinen Ursprung im luzernischen Entlebuch, im Emmental und in den Städten Solothurn und Basel hatte. Die massive Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage nach dem Dreissigjährigen Krieg (1618 – 48) mit dem Preiszerfall von land-wirtschaftlichen Produkten, die Beschränkung von Handel und Gewerbe auf die Städte und verminderte Rechte für die Landbevölkerung sowie die Münzabwertung waren wesentliche Ursachen für den Aufstand.
Im Mai 1653 erfolgte die Belagerung der Stadt Bern. Nachdem der Muri-Feldvertrag vom 28. Mai vom Berner Rat für null und nichtig erklärt wurde, kam es am 4. Juni zu blutigen Kampfhandlungen in Wohlenschwil. Leuenberger unterzeichnete mit dem Entlebucher Christian Schybi den Mellinger Frieden. Nach der Niederlage der Bauern bei Herzogenbuchsee setzte eine wilde Verfolgungsjagd nach den führenden Köpfen der Aufständischen ein. Leuenberger wurde von seinen eigenen Leuten verraten und nach seiner Verhaftung oberhalb Landiswil an Landvogt Tribolet ins Schloss Trachselwald überführt. In der engen Gefängniszelle, die noch heute besichtigt werden kann, wurde er festgehalten, bevor er nach Bern zur Hinrichtung gebracht wurde. Sein Kopf wurde neben dem Huttwiler Bundesbrief an den Galgen genagelt, sein Körper viergeteilt und an den Ausgangslandstrassen der Stadt Bern aufgestellt.
Anbauschlacht: Kartoffelanbau vor dem Bundeshaus Bern
Der Rebell von Eggiwil
Uli Galli war die geheime Seele der Berner Bauernbewegung, die 1653 zum Bauernkrieg führte. Auf dem Giebel in Eggiwil im Hause von Uli Galli fand im Januar 1653 eine erste illegale «Bauerntagsatzung» statt. Hier begann auch der überkonfessionelle Kampf der Entlebucher und Emmentaler Bauern gegen ihre Regierungen. Am 23. April wurde Niklaus Leuenberger an der Landsgemeinde in Sumiswald zum Obmann der Bauernbewegung und Uli Galli zum Kriegsrat gewählt.
Nach den blutigen Kampfhandlungen im Juni 1653 in Wohlenschwil und Herzogenbuchsee konnte Galli anfänglich flüchten, wurde dennoch eingefangen und verhört. Ihm wurden auch noch täuferische Kontakte zur Last gelegt. Am 25. Oktober 1653 wurde er durch den Strang hingerichtet. Zur Abschreckung soll seine Leiche noch ein halbes Jahr nach der Hinrichtung am Galgen gehangen haben.
Europas meist besuchtes Denkmal
Von A wie Affoltern bis Z wie Zäziwil trifft man auf mindestens 35 weitere Orts- und Namensstätten, die für die Geschichte des Emmentals von besonderer Bedeutung sind. Im Buch Denk mal – ein Denkmal hat der Schreibende über 170 Denkstätten im Kanton Bern beschrieben, davon alleine rund vierzig im Emmental. Wahrlich eine Fundgrube zum Entdecken. Um auf eine Reise zu Gedenkstätten gluschtig zu machen, seien stichwortartig einige weitere herausgegriffen:
Beim Kavalleriedenkmal auf der Lueg bei Affoltern geniesst man, ebenso wie auf der Hammegg ob Arni bei der Gedenkstätte des Mundart- und Volkstheaterautors Kari Grunder, eine einmalige Rundsicht auf das Berner Alpenpanorama. In der Stadt Burgdorf erinnern Hinweise an Johann Rudolf Gruner, Begründer des Kinderfrühjahr-Festes «Solätte», an die Tapferen Frauen mit der «Hühnersuppe», an Johann Heinrich Pestalozzi, der mit seiner Weisheit zur Schulbildung Mit Kopf, Herz und Hand wohl noch vielen ein Begriff ist. Den Gebrüdern Schnell, den Schöpfern des liberalen Staates Bern um 1831 und dem legendären General und Goldgräber Johann August Sutter sind ebenfalls Gedenkstätten gewidmet in Burgdorf.
Kennen Sie Europas meistbesuchtes Kunstwerk im 18. Jhd, das gar von Johann Wolfgang von Goethe besucht wurde? Nein? Dann planen Sie bald einen Besuch in der Kirche Hindelbank mit den Grabplatten von Maria Magdalena Langhans und Hieronymus von Erlach. In Lützelflüh treffen Sie bei den Grabstätten von Jeremias Gotthelf, Simon Gfeller und Emanuel Friedli auf drei der bedeutendsten Literaten des Emmentals. Wer lieber mal ein «lebendes» Denkmal besuchen möchte, soll doch die Gerstler-Eibe, gleichsam die älteste Emmentalerin und zudem offizielles Gemeindewappen von Heimiswil, oder die Bomber-Eiche in Utzenstorf, die an die Notlandung einer US-amerikanischen B-17 vor achtzig Jahren, am 17. August 1943, erinnert, besuchen.
Denk mal – ein Denkmal, eine denkens-werte Möglichkeit, sich auf den Weg zu begeben, das Emmental in seiner Vielfältigkeit zu entdecken. Wohlan und viel Vergnügen.
Text und Bilder: Fritz von Gunten