Franz Schnyder
Auch heute noch kommen wir nicht an Franz Schnyder vorbei, wenn es um das Thema «Film im Emmental» geht. Niemand brachte die Gegend so erfolgreich und publikumswirksam auf die Leinwand wie er.
Franz Schnyder wurde am 5. März 1910 in Burgdorf geboren und wuchs mit zwei Brüdern in einem behüteten Umfeld auf. Nach der Matura 1929 arbeitete er als Assistent im Maleratelier des Berner Stadttheaters. Dort empfahl man ihm eine Schauspielausbildung in Deutschland. Die Ausbildungszeit in Berlin wie auch die darauffolgenden Engagements auf Theaterbühnen in Deutschland und der Schweiz waren ein solider Grundstein für seine spätere Laufbahn. Er knüpfte Freundschaften fürs Leben und machte 1932 seine erste Begegnung mit dem Film: Im tollkühnen Projekt «Das Kalte Herz» stand er in der Hauptrolle vor der Kamera.
Nach erfolgreichen Gastspielen bei den Kammerspielen in München kam während dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kein festes Engagement mehr zustande. In der zweiten Hälfte des Jahres 1939 ging Schnyder direkt ans Schauspielhaus Zürich, wo er auf viele berühmte jüdische und systemkritische Bühnenkünstler traf, die seit der Macht-übernahme der Nationalsozialisten aus dem Deutschen Reich geflohen waren. Hier konnte er sich einer hochkarätigen Truppe anschliessen, die auch das schweizerische Filmgeschehen entscheidend mitgestaltete.
Franz Schnyder liebäugelte bereits während seiner Zeit in Deutschland mit dem Filmschaffen und beantragte 1936 die Aufnahme in die Reichsfilmkammer. Im Juni 1939 fuhr er nach Berlin, um Verhandlungen für einen Film zu treffen. Daraus wurde aber nichts. Doch nur kurze Zeit später bekam er endlich seine Chance: Der bekannte Produzent Lazar Wechsler war auf der Suche nach einem jungen Regisseur für einen Film im Rahmen der Geistigen Landesverteidigung. Die Dreharbeiten zu «Gilberte de Courgenay» fanden im Februar und März 1941 im Jura statt. Dank dem grossen Erfolg konnte Schnyder gleich seinen nächsten Regieauftrag realisieren und machte mit «Das Gespensterhaus» (1942) erstmals Bern zum Schauplatz eines Spielfilms. Sein dritter Film «Wilder Urlaub» (1943), ein bemerkenswerter Film Noir um einen Deserteur der Schweizer Armee, wollte das Publikum aber damals nicht sehen.
Im Sommer 1946 plante Wechsler eine mehrteilige Dokumentarfilmreihe zum Thema «Lebendige Demokratie». Das Projekt geriet jedoch ins Stocken, und so wurden die ersten beiden Teile zum Dokumentarfilm «Der Souverän» zusammengefügt. Der Kurzfilm kann als eine Art Vorläufer der späteren Gotthelf-Verfilmungen verstanden werden, aber auch als Werbefilm fürs Emmental. Er zeigt den ländlichen Alltag einer fiktiven Bauernfamilie, die Rechte und Pflichten eines Stimmbürgers, dann aber auch die Feste und das Brauchtum. Gedreht wurde im Wasen, auf dem Arni, der Lüderenalp und mit «Kindern aus dem Emmenthal», wie der Vorspann verspricht. Man könnte meinen, Franz Schnyder probte hier bereits seinen Stil für die späteren Gotthelf-Filme.
Während Schnyder einige Jahre die Migros-Klubhauskonzerte leitete und nur sporadisch Auftragsfilme drehte, war zum 100. Todestag des Schriftstellers Jeremias Gotthelf (1797 – 1854) ein Regisseur für die Verfilmung dessen Romans «Uli der Knecht» gesucht. Wer wäre da besser geeignet gewesen als Franz Schnyder, der das Emmental wie seine Westentasche kannte? Zudem faszinierten ihn die Werke Gotthelfs bereits seit seiner Kindheit.
Franz Schnyder beim Dreh mit den «6 Kummer-Buben». Beat Schenk, der im Film als 12-Jähriger den Kummerbuben «Fritzli» spielte, hatte eine Schmalfilmkamera dabei, drehte ein «Making of» und gab 2019 als Rückblick aufs Film-Set von 1967 den umfangreichen Bildband «Drehmomente» heraus. Foto: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Bertschinger, Roland
Erzählt wird die Geschichte von Uli, dessen Karriere von einem Knecht über Umwege zum selbständigen Bauern führt. Schnyder engagierte für die Hauptrollen den Profifussballer Hannes Schmidhauser (1926 – 2000) und die Bernerin Liselotte Pulver (geb. 1929), die zuvor vorwiegend in deutschen Filmen mitgewirkt hatte. Die Dreharbeiten fanden von April bis Juni 1954 hauptsächlich im Emmental und kurz in der Berner Altstadt statt. Für einige Innenaufnahmen nutzte man die Ateliers des Zürcher Rosenhofs. Der Film wurde in Mundart gedreht, um das Publikum der vorangegangenen, erfolgreichen Hörspielserie zu erreichen. «Uli der Knecht» feierte am 19.10.1954 in Zürich Premiere und war mit 1,6 Millionen Besuchern ein überwältigender Erfolg. Hannes Schmidhauser und Liselotte Pulver wurden über Nacht zu Stars.
Nachdem Schnyder mit «Heidi und Peter» 1955 den ersten Schweizer Farbspielfilm gedreht hatte, drängte im Juli gleichen Jahres die Zeit für die Produktion des von Anfang an geplanten zweiten «Uli»-Films. Die beiden Filme begründeten eine Serie von Gotthelf-Verfilmungen, die allesamt Publikumsrenner waren. Als die Verfilmung von «Die Käserei in der Vehfreude» (1958) bevorstand, wagte er gar, in Alchenflüh das grösste Filmstudio der Schweiz einzurichten. So konnte man bei schlechtem Wetter spontan das Aussen-Set räumen und stattdessen Innenszenen drehen.
Innerhalb von zwei Jahren spielte «Die Käserei in der Vehfreude» das Dreifache der Kosten ein. Mit 1,8 Millionen Zuschauern überholte der Film damit in der Schweiz sogar den Hollywood-Klassiker «Vom Winde verweht» (1939).
Schnyders letzter Gotthelf-Film «Geld und Geist» (1964) wurde mit einer Zuschauerzahl von mehr als 2,5 Millionen der lukrativste Schweizer Film aller Zeiten – und dies bei einer Gesamteinwohnerzahl von 5,45 Millionen Schweizern. Doch der Film war aus der Sicht der Filmkritiker und der jungen Filmemacher-Generation ein Produkt des Alten Schweizer Films, den sie als überholt ansahen.
Man kann es Zufall nennen, dass Schnyders Herkunft gerade der Nachfrage nach den Gotthelf-Stoffen entsprach. Im Laufe der Zeit verlegte er seinen Sitz schrittweise von Zürich nach Burgdorf, zuletzt gar ins Elternhaus. Dort nahm er gegen Ende seiner Filmkarriere auch weitere Stoffe in Angriff, die mit dem Emmental thematisch verbunden waren.
«Die 6 Kummer-Buben» (1968) basierte auf dem 1942 erschienenen Jugendroman der ebenfalls aus dem Emmental stammenden Autorin Elisabeth Müller (1885 – 1977). Er erzählt die Geschichte einer armen Familie, die in einem Haus ohne Strom und fliessendes Wasser lebt. Um das stolze Budget von zwei Millionen Franken zusammen zu bekommen, ging Schnyder einen Pakt mit dem Schweizer Fernsehen DRS ein, das im Gegenzug eine 13-teilige Fernsehserie forderte. Die Dreharbeiten in der Umgebung Burgdorfs, in denen neben der zweistündigen Kinofassung auch noch sechseinhalb Stunden Material für die TV-Version entstehen mussten, dauerten vom 15. Mai bis 15. September 1967 und waren nervenaufreibend für Crew und Ensemble. Schnyders Genie zeigte sich einmal mehr darin, dass er Serie und Film in Farbe drehte. Die meisten Zuschauer konnten sich noch keine Farbfernsehgeräte leisten und mussten sich den Film im Kino ansehen, wollten sie die Landschaftsbilder des Emmentals in voller Pracht geniessen. Doch der konventionelle und eher holprige Kinofilm erschien zum ungünstigen Zeitpunkt der 68er-Bewegung und schien somit – in der Gegenwart spielend – völlig aus der Zeit gefallen. Die Fernsehserie mit ihrer episodenhaften Erzählweise fand hingegen erfolgreich ihr Publikum.
Schnyder bedauerte, dass es in der Schweiz keine jungen Schauspieler gäbe, denen die Trachten des 19. Jahrhunderts stünden, und so engagierte er für die Hauptrollen zwei bisher neue Gesichter: Liselotte Pulver und Hannes Schmidhauser. © Praesens Film / Neue Film AG / Sammlung cinémathèque suisse
Schnyder war ein Perfektionist. Oft wurden Szenen acht- bis zehnmal wiederholt. Seine Detailversessenheit und Durchsetzungskraft war für einige Darsteller nur schwer zu ertragen. Diese Charakterzüge erklären, weshalb ihm der mittelmässige Kinoerfolg der ersten beiden «Anne Bäbi Jowäger»-Teile (1960/61) sowie seines kritischen Films «Der 10. Mai» (1957) keine Ruhe liess. Er hatte inzwischen durchaus realisiert, dass sich die Sehgewohnheiten der Zuschauer durch das Fernsehen verändert hatten, wenn auch erst mit den «Kummer-Buben» und somit für seine Karriere zu spät. Doch er wollte zeigen, dass er es auch anders kann und brachte beide Filme in Neuversionen heraus.
Im Jahr 1983 begann sich jemand aus der jungen Filmemacher-Generation für Franz Schnyder zu interessieren. Es war Christoph Kühn, der die Idee hatte, Schnyder einige Szenen von dessen lange gehegten «Pestalozzi»-Drehbuchs inszenieren zu lassen. Man arbeitete mit zwei Kamera-Teams: Eines unter der Leitung von Schnyder und eines, mit dem Kühn das Geschehen beobachtete. Sie drehten in den Chicorée-Hallen, in der Apotheke in der Burgdorfer Oberstadt, vor und im Kino Palace Burgdorf, bei Schnyder zuhause und stellten auch die Verfolgungsjagd aus «Die Käserei in der Vehfreude» in Häusernmoos nach. Schnyder blühte während des Drehs so richtig auf. Er fühlte sich wieder gebraucht, was die alten Lebensgeister weckte.
Doch nach Drehschluss 1984 geriet Franz Schnyder psychisch in eine negative Spirale. Er unternahm weiterhin ausgedehnte Spaziergänge durchs sein geliebtes Emmental, fuhr häufig mit Gästen auf die Lüderenalp und träumte 1990 davon, in Lützelflüh eine grosse Filmstadt zu bauen. Seine Arbeit jedoch drehte sich immer wieder um die gleichen Themen und er steigerte sich in eine Frustration hinein. Er vermischte Realität mit Geschichten, Gelesenes mit Erlebtem. Er verlor den Bezug zur Realität. Sein Zwillingsbruder Felix starb am 8. November 1992 nach einem Spitalaufenthalt. Am 8. Februar 1993 starb Schnyder in der psychiatrischen Klinik in Münsingen. Das unscheinbare Familiengrab, bewacht von einer Statue, die Schnyders Mutter Louise darstellen soll, kann man noch heute auf dem Friedhof in Burgdorf besuchen.
Franz Schnyder trug das Emmental in die weite Welt hinaus. Die ländliche Darstellung führte dazu, dass seine Gotthelf-Filme oft mit Heimatfilmen verwechselt wurden. Zu Unrecht. Denn mit Ausnahme der 1956 realisierten Schnulze «Zwischen uns die Berge» kann keiner von Schnyders Filmen dem Genre Heimatfilm zugeordnet werden. Zum Erfolg beigetragen hat sicher auch die universelle Art seiner Filme, die für alle geniessbar waren. Schnyder wollte nie bloss unterhalten, sondern auch etwas bewegen. Mit den Gotthelf-Verfilmungen ist ihm eine Kombination von beidem gelungen, und er hätte es auch mit dem «Pestalozzi» geschafft.
Text: Raff Fluri
Bilder: zvg © Praesens Film / Neue Film AG