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Aus dem Dornröschenschlaf erweckt

Fragt man im Bekanntenkreis nach Hobbies, erhält man meistens zur Antwort: Wandern, Kochen, Lesen und Reisen. Nicht so bei Silas Bürgi-Zentner und Alain Zentner. Die beiden haben sich dem Renovieren alter, baufälliger Objekte verschrieben und haben es im Laufe der Zeit zur Perfektion gebracht.

Mit viel Enthusiasmus haben sie das Haus zum Wilden Mann in Wynigen unter ihre Fittiche genommen und mit noch mehr Fleiss und Schweiss dem ursprünglichen Spätbarockbau seinen Glanz und seine Würde zurückgegeben. Das Haus ist heute im Verzeichnis der Denkmäler von nationaler Bedeutung und dem Kulturgüterschutzinventar eingetragen, und das sagt viel über das Fachwissen der beiden aus.

Das markante Gebäude gleich neben der reformierten Kirche in Wynigen fällt bei der Durchfahrt durchs Dorf sofort auf. Bis in die 2010er Jahre ein trister Anblick, erstrahlt es nun in neuer Pracht. Die prächtige, renovierte Fassade und die gepflegte Umgebung verleiht dem Ort geradezu Eleganz und Grösse. Bei der Renovation war eines der obersten Ziele der beiden Bauherren, die ursprüngliche Bausubstanz und den Innenausbau maximal zu erhalten. Auch sollten die aufwändigen und kostspieligen Restaurationsarbeiten vorwiegend von Spezialisten und Handwerkern aus der Gemeinde ausgeführt werden. Wann immer möglich legten sie jedoch in ihrer Freizeit selber Hand an. Dass rund eine Tonne Kupfer verbaut worden ist, lässt die Grösse des Projektes erahnen.

Nicht nur im Aussenbereich, sondern auch bei der Einrichtung wurde explizit auf Authentizität geachtet; sie entspricht nach der Renovation vornehmlich der Zeit von vor über zweihundert Jahren und wirkt trotzdem nicht verstaubt. Nach der sorgfältigen Restaurierung erstrahlen die wenigen im Haus noch verbliebenen und zusätzlich gesammelten Antiquitäten nun wieder in edler, fast aristokratischer Eleganz. Auf dem Rundgang weiss Silas Bürgi-Zentner viele Einzelheiten zu den verschiedenen Möbeln in den einzelnen Räumen zu berichten. Zum Beispiel, dass er angefragt worden ist, ob er aus einem Pfarrhaus einer nahe gelegenen Gemeinde einen «Gotthelf-Schrank» übernehmen möchte, oder ein barockes Buffet aus einem Bauernhaus, das «die Jungen nicht wollten». Für die Suche nach passenden Einrichtungsgegenständen aus der Bauepoche des Hauses, so erzählt Silas Bürgi-Zentner weiter, wurde mindestens so viel Zeit aufgewendet wie für die Renovation. Trotzdem wirken die Räume nicht museal, sondern elegant, vielleicht sogar einen Hauch pompös. Dem Besucher entlocken sie bei der Führung ein «Ah» und «Oh» nach dem anderen. Jedes Zimmer ist einmalig, detailgetreu und liebevoll eingerichtet, trotzdem fügen sich die Räume zu einem harmonischen Ganzen zusammen.

Augenfällig ist die Liebe zu Uhren, die überall im Haus zu finden sind. Insgesamt zweiunddreissig Stück wollen täglich oder doch mindestens wöchentlich aufgezogen werden. Ebenso bemerkenswert sind die nach alten Vorbildern aus Leinen oder Baumwolle gewobenen Vorhänge, die originalgetreu und mit Posamenten verziert an den Fenstern hängen. Geputzt wird das grosse Haus von den Hausbesitzern selber. Bei der Möbelpflege hilft Silas Mutter, die regelmässig mit Bienenwachs und weichem Baumwolltuch die wertvollen, alten Möbel abstaubt und poliert.

 

Chindbettistube

Jeder der siebzehn Räume hat einen eigenen Namen und eine eigene Geschichte zu erzählen. In der Chindbettistube zum Beispiel wartete seinerzeit die Gotte mit dem Täufling nach der Taufe, bis die Predigt in der benachbarten Kirche vorbei war. Auch Jeremias Gotthelf traf sich hier oft mit seinem Amtskollegen. Da er als scharfer Beobachter der Bevölkerung auch kritische Texte verfasste, war er nicht zwingend ein gern gesehener Gast in den Gaststuben. Also traf er sich mit seinem Freund in diesem Zimmer, um ungestört zu plaudern und sicher auch, um die eine oder andere Anekdote über die Schäfchen der beiden Pfarreien auszutauschen.

Gleich gegenüber der Chindbettistube befindet sich die Gaststube, in der über hundertsechzig Jahre Gäste bewirtet wurden. Auch dieser Raum wurde mit grosser Sorgfalt renoviert, die Holzböden geschliffen, zum Teil ausgebessert und neu gewachst. Die alten Tische erhielten eine Auffrischung, und die neuen wurden nach den alten Vorbildern so nachgebaut, dass kein Unterschied zwischen alt und neu ersichtlich ist. In der grossen Küche nebenan steht ein gusseiserner Kochherd, der noch heute bei Einladungen eingefeuert und zum Kochen genutzt wird. Der Ofen wurde von der Firma Krebs, Oberhofen, gebaut und ist der letzte dieser Baureihe, der noch funktioniert.

Die grossflächigen Wandmalereien im Isler-Saal nach Studien von Ferdinand Hodler zeigen das bäuerliche Landleben um die Jahrhundertwende.

Isler-Saal

Ein besonderes Augenmerk gilt es auf den Saal zu legen, der Anfang des 20. Jahrhunderts als Riegkonstruktion auf hohen Zementpfeilern auf Höhe der ersten Etage angebaut worden ist. Die Pläne dazu stammen von 1895, realisiert wurde er von 1904 – 1906, als Bauherr zeichnete Friedrich Schürch verantwortlich. Der Ausbau erfolgte im ländlichen Jugendstil mit grossflächigen Wandmalereien von Alfred Isler, dem Kunst- und Kulissenmaler aus Zürich. Alfred Isler war seinerzeit sehr bekannt für seine Wagnerkulissen im Opernhaus und Theaterkulissen im Stadttheater in Zürich und Langenthal. Die Studien zu den Bildern im Saal stammen vom grossen Ferdinand Hodler und zeigen die Sicht von Sigriswil auf den Thunersee und Niesen mit Szenen aus dem damaligen bäuerlichen Landleben. Seinen Namen erhielt der Saal demnach im Andenken an den Kunstmaler, Wegbegleiter und Freund von Ferdinand Hodler und Cuno Amiet. Einige der ebenfalls von Isler gemalten Kulissenbilder hängen im oberen Stock im Flur als Wandverkleidung.

Zahlreiche schwarz-weiss-Fotografien aus einer grossen Obstausstellung von 1906 dokumentieren, wie wichtig der Saal für die Gemeinde Wynigen damals war; er diente auch für Vereinsanlässe, Theateraufführungen und vieles mehr. Leider senkte sich der Boden schon Ende der 1950er Jahre, sodass der Saal erst jetzt nach der Renovation wieder sicher betreten werden kann. Unter den Giebeln waren ursprünglich auch zwei Lauben eingebaut, die aber schon in den 1930er Jahren wegen Einsturzgefahr abgebrochen werden mussten. Der Wiederaufbau dieser Lauben ist für eine allfällige weitere Restaurationsetappe geplant. Dank dem auf Zementpfeilern angebauten Saal ist ebenerdig ein grosszügiger, gedeckter Sitzplatz entstanden, den die Bauherren gerne und oft nutzen. Er spendet Schatten in den heissen Sommermonaten und schützt den Hauseingang bei Regenwetter.

In der sog. Mansarden-Etage befinden sich verschiedene Schlafräume mit Bad, die auch als b2b genutzt werden könnten.

Veranstaltungen

Im zweiten Stockwerk befinden sich die Schlafzimmer und ein grosszügiges Bad sowie mehrere Gästezimmer. Das Haus verfügt über eine Bed&Breakfast-Bewilligung, die bisher noch nicht genutzt worden ist. Die Zimmer sind aber trotzdem ab und an belegt; wenn etwa nach einer Veranstaltung im Saal Künstler oder Gäste, die von weit her angereist sind, nicht mehr heimfahren wollen.

In Haus zum Wilden Mann finden regelmässig verschiedene Anlässe statt, wenn nicht gerade die Pandemie das ganze kulturelle Leben lahmlegt. Führungen können gebucht werden, in der Gaststube werden Kaffee und Kuchen serviert und im Saal finden klassische Hauskonzerte statt. Die Anlässe werden auf der Homepage ausgeschrieben und können dort gebucht werden.

 

Die Reise geht weiter

Seit kurzem steht das Siebzehn-Zimmer-Herrschaftshaus zum Verkauf. Auch wenn sich die beiden Bewohner in ihrem Haus sehr wohl und heimisch fühlen und sich auch in der Gemeinde engagieren, zieht es die beiden «wilden Männer», wie sie im Dorf scherzhaft und mit Bewunderung genannt werden, weiter. Noch viele baufällige Bauwerke warten auf ihr Wiedererwecken und ihre Neubelebung. Man mag es vielen Altbauten schon fast wünschen, dass sie von Silas Bürgi-Zentner und Alain Zentner entdeckt und als restaurierungswürdig befunden werden, damit sie
bald wieder in ihrer ursprünglichen Schönheit dastehen können.

Text: Anna Hofer

Bilder: Immobilien Börse AG, Lucian Heer,
Christian Hulliger

Zu lesen in der Ausgabe #55