fbpx

Gedenkstätte, grandiose Fernsicht und viel Geschichte

1921 wurde das Lueg-Denkmal eingeweiht – zum Gedenken an verlorene Soldaten während des Ersten Weltkriegs, als die Spanische Grippe auch die Schweiz heimsuchte. Der geschichtsträchtige Ort ist beliebtes Ausflugsziel und Etappenhalt für verschiedene touristische Routen zugleich. Von grosser Bedeutung war die Lueg militärisch wie verkehrstechnisch aber schon viel eher. Einst war sie fester Bestandteil des ausgeklügelten Hochwachtsystems. Und auch die wichtige Transitstrasse Bern – Luzern führte hier vorbei.

Auf 887 m. ü. M. bietet sich oberhalb Affoltern bei schönem Wetter ein wunderbarer Ausblick. Die Lueg gilt als eines der aussichtsreichsten Ausflugsziele im Emmental. Der Blick schweift über die Höger – oder über den Nebel – in Richtung Berner Alpen und Napfgebiet. Bei durchzogenem Wetter oder dunstiger Sicht lassen sich die Gipfel auf der breiten Panoramatafel erkennen. Feuerstelle und Sitzgelegenheiten laden zum Verweilen ein. Wie auf vielen Emmentaler Anhöhen thront auch hier – auf dem «Heiligenlandpöli» – eine mächtige Linde.

 

100 Jahre Lueg-Denkmal

Neben der Linde ist auch die monumentale Steinsäule aus dem Landschaftsbild der Lueg nicht mehr wegzudenken. Das Denkmal erinnert mit den sechs Flachreliefs an die Soldaten, die im Aktivdienst während des Ersten Weltkriegs die Landesgrenzen verteidigten, sowie an die Kavalleristen, die ihr Leben aufgrund der sogenannten Spanischen Grippe lassen mussten: «Zum Andenken an die im Dienste des Vaterlandes während der Grenzbesetzung 1914 – 1918 und im Ordnungsdienst vom November 1918 verstorbenen Bernischen Kavalleristen», steht da nun seit hundert Jahren in Stein gemeisselt. Die Kavallerie hatte durch Krankheit oder Unfall vierundfünfzig Kameraden verloren. Ihnen zu Ehren beschloss die Bernische Kavallerie-Offiziersgesellschaft 1919 den Bau des Denkmals. Bereits zwei Jahre später versammelten sich auf der Lueg zur Einweihung am 2. Oktober 1921 rund 20’000 Besucher und Besucherinnen und 2000 Kavalleristen mit ihren Pferden. Für die Ausführung der Bauarbeiten verantwortlich zeichnete der Maurermeister Fritz Aeschlimann aus dem benachbarten Rinderbach. Der verwendete Muschelkalkstein stammt aus Estavayer-le-Lac und wurde mit Pferdefuhrwerken von den umliegenden Bauern an ihren Bestimmungsort transportiert. Das sechseckige Bauwerk erinnert stark an den achteckigen «Turm der Winde» in Athen. Entworfen hatte die Lueg-Ausführung des Monuments der Berner Architekt Karl Indermühle, der sich insbesondere mit dem Bau zahlreicher Kirchen einen Namen machte – so entwarf er etwa die Berner Friedenskirche oder die Dorfkirche in Röthenbach.

 

Erinnerungen an Weltkrieg, Spanische Grippe und Landesstreik

Bekanntlich konnte sich die Schweiz aus den kriegerischen Auseinandersetzungen des Ersten Weltkriegs mehrheitlich heraushalten – von der um sich greifenden Spanischen Grippe blieb aber auch unser Land nicht verschont: Die Armee hatte bis zu fünfunddreissig Todesopfer pro Tag zu beklagen. Überliefert ist, dass sich Schweizer Soldaten erstmals anfangs 1918 bei der Grenzsicherung im jurassischen Bonfol infizierten. Soldaten wurden nach Hause geschickt und verbreiteten so das Virus zuerst in der Westschweiz. In der zweiten Jahreshälfte erfasste eine zweite Welle der Grippe die gesamte Schweiz. Märkte, Kirchen und Schulen wurden geschlossen; letztere wurden gar zu Notfallspitälern umfunktioniert. Das öffentliche Leben kam zum Erliegen. 1918/1919 fielen in der Schweiz rund 25’000 Personen der Spanischen Grippe zum Opfer – mehrheitlich Personen im Alter zwischen zwanzig und vierzig Jahren. Fachleute schätzen, dass sich schweizweit rund zwei Millionen Menschen – die Hälfte der damaligen Bevölkerung – angesteckt hatten.

Mit dem beim Lueg-Denkmal erwähnten Ordnungsdienst vom November 1918 ist der Landesstreik kurz nach Ende des Weltkriegs gemeint: Die sozialen Spannungen, die sich in den Kriegsjahren aufgebaut hatten, gipfelten darin, dass 250’000 Werktätige ihre Arbeit niederlegten – und so das Wirtschaftsleben in der gesamten Schweiz lähmten. Um die befürchtete Revolution zu verhindern und die öffentliche Ordnung zu wahren, mobilisierte die Schweizer Regierung die Armee. Dies geschah zu einem epidemiologisch denkbar ungünstigen Zeitpunkt – auf dem Höhepunkt der Pandemie. Dem Militär wurde vorgeworfen, die Ausbreitung des Virus durch die Mobilmachung zu verstärken. Gemäss amtlichen Zahlen zählte letztendlich die Armee mehr als 1800 Grippe-Opfer.

Schweizweit erinnern verschiedene Denkmäler an die Opfer des Ersten Weltkriegs. Die Bauwerke beziehen sich vor allem auf die Opfer der Spanischen Grippe im Rahmen des Armeedienstes. Obwohl das Wüten der Pandemie eines der schlimmsten humanitären Ereignisse in der Schweizer Geschichte darstellt, erinnert heute nicht viel an die Opfer in der Zivilgesellschaft. Umso grösser ist die Bedeutung, die den bestehenden Denkmälern zuteilwird. Zum Ausdruck kam dies jüngst etwa, als im Rahmen der Renovation der Langnauer Gedenkstätte (das ebenfalls von Karl Indermühle entworfene Soldatendenkmal bei der reformierten Kirche) eine neue Tafel enthüllt wurde, die den Opfern der Zivilgesellschaft gedenkt.

Das Denkmal von Oben: Bevor es Drohnen gab wurden kreative Foto-Bild-Montagen angefertigt.

Teil des ausgeklügelten Hochwachtsystems

Den kurzen, steilen Aufstieg von der Bushaltestelle oder dem Parkplatz hinauf zum Lueg-Denkmal unter die Füsse zu nehmen, lohnt sich sicher wegen der atemberaubenden Aussicht, dem imposanten Bauwerk und dem Rastplatz. Aber auch, weil es ein sehr geschichtsträchtiger Ort ist. Früher stand hier ein Chutzen – eine Hochwacht – die dazu diente, im Kriegsfall mit einem Feuer, mit Rauch oder Mörser Alarm zu schlagen. Die Lueg war somit Teil des Hochwachtsystems, das ab Mitte des 15. Jahrhunderts bis zum Deutsch-Französischen Krieg 1870 dazu diente, Bedrohungslagen schnell von Berg zu Berg zu kommunizieren.

An der Einweihung des Denkmals versammelten sich tausende von Besuchern rund um die Lueg.

Einst Transitverkehr – heute Etappenhalt

verschiedener Routen

Heute von vielen als Ausflugsberg oder Passquerung vom Mittelland ins Emmental wahrgenommen, war die Lueg einst aber auch ein wichtiger Teil der seit dem 15. Jahrhundert schriftlich belegten Verbindung von Bern nach Luzern. Der Abschnitt zwischen Burgdorf und Huttwil verlor jedoch zunehmend an Bedeutung, als mit dem Bau der «Neuen Aargauer Strasse» anfangs des 18. Jahrhunderts der Transitverkehr zunehmend an Burgdorf vorbei – neu über Kirchberg – geleitet wurde. Dass die Strasse ab Burgdorf, durch den «Leuenwald» – hinauf zur Lueg, früher die Hauptstrasse nach Luzern darstellte, ist kaum mehr vorstellbar. Die heutige ruhige Lage bietet für «d’Lueg» neue Chancen – etwa als Etappenhalt verschiedener Routen: Die im Frühling 2021 eröffnete E-Bike-Route «Herzschlaufe Burgdorf Ost» führt hier ebenso vorbei wie der Weitwanderweg ViaJacobi (Abschnitt Luzern-Rüeggisberg) oder die «Grand Tour of Switzerland», die auf 1’643 Kilometern durch alle Landesteile die Highlights der Schweiz miteinander verbindet.

Text: Hubert Schacher

Bilder: Hubert Schacher / Sammlung Andreas Mathys

Zu lesen in der Ausgabe #53