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Der Brandstifter aus Heimiswil

Auch im Emmental hat das Brennen von Hochprozentigem seit Jahrhunderten Tradition. Noch vor wenigen Jahrzehnten liessen die Bauern in der Gegend ein Vielfaches der heutigen Menge zum Eigenbedarf brennen. Seither hat sich das Trinkverhalten auch im Emmental stark verändert. Getrunken wird deutlich weniger, aber eins ist uns zum Glück erhalten geblieben: ein leidenschaftliches Genusshandwerk und die echten Emmentaler Spezialitäten von Simon Kramer.

Wenn sich der Herbstnebel in die Täler legt und draussen eine stechende Bise um die Häuser pfeift, bleibt man lieber in der warmen Stube und gönnt sich ein «Chacheli Kafi». Ab und zu auch gerne mit einem kräftigen «Gutsch» hiesigem Schnaps. Nicht selten steht auf dem Etikett der Flasche «Spezialitätenbrennerei Kramer, 3412 Heimiswil». Das Brennen liegt bei den Kramers in der Familie. «Schon mein Grossvater fuhr mit einer kleinen, mobilen Brennerei von Bauernhof zu Bauernhof», erzählt Simon Kramer. Der gelernte Landmaschinenmechaniker übernahm den Familienbetrieb 2008 von seinem Vater Walter und führt diesen in der dritten Generation erfolgreich weiter. Zahlreiche Auszeichnungen hängen an den Wänden. Beleg dafür, dass jemand seine Berufung gefunden hat und mit viel Herzblut bei der Sache ist. Der Erfolg kommt aber nicht von ungefähr. Simon bekam schon früh mit, was es mit dem Brennen so auf sich hat. «Die Mitarbeit im Betrieb war für mich von Kindsbeinen an eine Selbstverständlichkeit.»

 

Zwei Betriebszweige

Simon Kramer betreibt einerseits eine Lohnbrennerei, andererseits eine gewerbliche Brennerei. Lohnbrennerei heisst: Man kann ihm eingemaischte Früchte bringen, die er dann in der vom Kunden gewünschten Stärke destilliert. Die Aufträge kommen sowohl von Bauern wie von Privaten, die sich «ihren» eigenen Schnaps von den paar Obstbäumen im eigenen Garten brennen lassen möchten. Dies wird von der Steuerbehörde mittels einem tieferen Alkoholsteuersatz sogar noch etwas gefördert. Denn im Sinne der Biodiversität ist es von Interesse, dass in Gärten Obstbäume gepflanzt und gepflegt werden. Die Bauern können ihren Schnaps sogar steuerfrei brennen lassen  – wenn sie ihn dann auch auf dem eigenen Hof verwenden. Dies kann als «Heilmittel» für kranke Tiere sein oder auch jenes für den Bauern selbst.

Die Mindestmenge, die jemand dafür anliefern muss, beträgt dreissig Kilo. Davon kann man in etwa drei Liter fertigen Schnaps erwarten, wobei natürlich nicht jede Frucht gleich ergiebig ist. Diese Tätigkeit eines Lohnbrenners ist für Simon Kramer die wichtigere und macht rund achtzig Prozent seiner Arbeit aus. Der zweite Betriebszweig ist die Herstellung und der Verkauf der eigenen köstlichen Kreationen.

Mit Holz aus den Heimiswiler Wäldern wird das Feuer für den benötigten Wasser-

dampf entfacht.

Alte Speicherzwetschge, Härdöpfeler und Whisky

Als Lohnbrenner stellt Simon Kramer vor allem Bäzi, also Schnaps aus Äpfeln oder Äpfeln und Birnen her. Von jenen Spezialitäten, die er unter eigenem Namen produziert und verkauft, sind Kirsch, Pflümli, Absinth, Williams und vor allem «Alte Speicherzwetschge», «Härdöpfeler» und Whisky der Renner. Sämtliche Früchte für seine echten Emmentaler Spezialitäten bezieht er von Bauern in der Region Heimiswil. Die Erzeugnisse verkauft er in einem kleinen «Schnaps-Lädeli» gleich neben der grossen Halle, in welcher die Brennhäfen stehen, neben dem Lager, wo die Schnäpse in wunderschönen, riesigen Steinguttanks altern.

 

Vom Baum ins Fass

Das Wichtigste und absolut Entscheidende ist die Qualität des Grundstoffes, den man brennen will. «Wir brennen einen feinen Kirsch, und so verwenden wir feinste Kirschen, die im richtigen Moment geerntet worden sind.» Sobald die Kirschen reif genug sind, also so, dass man sie auch pflücken und essen würde, kommen sie gereinigt und ohne Laub oder Stiele in ein Fass. In den nächsten Wochen ist es wichtig, die eingelegten Früchte regelmässig zu «schtünggele», heisst sanft zu zerdrücken und umzurühren. Durch die Verletzung der Kirschen wird der Gärprozess beschleunigt und der entstandene Saft auf der Oberfläche garantiert zudem, dass keine Luft-einlagerungen im Fass sind. Bei diesem Vorgang ist es wichtig, den Stein der Kirsche nicht zu verletzen. Denn dieser beinhaltet Bitterstoffe, welche den Geschmack beeinträchtigen würden. Beim Gären wandeln Bakterien den Fruchtzucker zu Alkohol um. Früchte sind von Natur aus mit Mikroorganismen wie Hefen und Bakterien belegt. Wird die Frucht verletzt, finden diese gutes Futter und vermehren sich schnell. Hefen vergären Zucker zu Alkohol. Der Deckel auf dem Fass wird mit einem Gewicht beschwert, damit es zwar verschlossen ist, die durch den Gärprozess entstehenden Gase aber entweichen können. Dieser Vergärungsprozess ist nach ca. drei bis vier Wochen abgeschlossen und die Kirschen sind bereit für den Brennvorgang.

 

Jetzt gilt es ernst

Die Früchte werden in die Brennblase geschüttet, der Deckel wird geschlossen. «Wir feuern ein und erzeugen im Dampfkessel den Dampf, mit welchem die Maische, also die vergorenen Früchte, auf 85 Grad Celsius erhitzt wird.» Da Alkohol einen anderen Siedepunkt als Wasser hat, verflüchtigt sich dieser bereits bei 78 Grad Celsius aus den Früchten und steigt durch die Brennblase empor. Nur aufgrund dieser physikalischen Tatsache ist es überhaupt möglich, den Alkohol auf diese Art und Weise vom restlichen Material zu trennen. Im obersten Teil der Brennblase wird der Dampf in ein Chromstahlrohr, auch genannt Geistrohr, gelenkt und gelangt von dort in den spiralförmigen Kühler, wo er sich abkühlt, kondensiert und in flüssiger Form durch die Vorlage in den Chromstahlkessel fliesst.

Der erste Liter, der sogenannte Vorlauf, wird weggegossen. Darin sind aufgrund kleiner Verunreinigungen der Früchte Stoffe enthalten, die schon in kleinen Mengen dem Schnaps einen unangenehmen Geruch verleihen würden. Da diese Stoffe einen tieferen Siedepunkt als Alkohol haben, können sie so sauber abgetrennt werden. Nach dem unbrauchbaren Vorlauf fliesst jetzt das sogenannte Herzstück, also der fertige Kirsch in den Kessel. Am Anfang hat der Schnaps einen sehr hohen Alkoholgehalt, welcher sich später im Brennprozess abschwächt. Denn je länger die Maische gekocht wird, desto mehr Wasserdampf kommt mit. Dieses Verhältnis zwischen Wasser und Alkohol ist entscheidend, denn erst durch die Vermischung mit Wasser erhält der Kirsch seine fruchtigen Aromen zurück. Es gilt: je höher die Volumenprozente, desto weniger Aroma. Der Nachlauf, also die letzten paar Liter, werden wie der Vorlauf ebenfalls vom Herzstück abgetrennt. Jedoch wird dieser Teil nicht weggeschüttet, sondern der nächsten Charge des gleichen Produkts beigefügt.

Die Früchte werden in die Brennblase geschüttet, der Deckel wird geschlossen.

Herabsetzen, Filtrieren, Etikettieren

Da die meisten Kunden ihre Schnäpse mit vierzig und fünfzig Volumenprozenten wünschen, muss der Alkoholgehalt des fertigen Destillates von den ursprünglichen rund achtzig Prozent auf diese gewünschte Stärke heruntergesetzt werden. Dazu verwendet Simon enthärtetes und demineralisiertes Wasser. Sobald der Wasseranteil jedoch die Hälfte übersteigt, wird der Schnaps trübe und muss gefiltert werden. Dazu wird das flüssige Hochprozentige heruntergekühlt und durch einen Filter aus gepresster Zellulose geleitet. So erhält er seine Klarheit zurück. Jetzt wird der wieder klare Brand in die Flasche gefüllt, und fertig ist die beliebte Emmentaler Spezialität.

 

Auf die Erfahrung kommt es an

Kramers Schnäpse sind bekannt für ihren abgerundeten Gout. Nichts von einem Alkoholton, der dafür zeugen würde, dass es da einer mit dem Brennen nicht allzu genau oder allzu hastig genommen hat. Aus dem Nichts kommt eine solch abgerundete Frucht nicht. Die Familie Kramer kann sowohl von einem Erfahrungsschatz aus über einem halben Jahrhundert zehren als auch darauf stolz sein, dass sie das Brennen mit exakter Genauigkeit betreibt. Immer wieder justiert Simon da und dort etwas am Brennhafen – um die Temperatur nicht zu heiss werden zu lassen, um die Durchflussgeschwindigkeit nicht zu schnell oder zu langsam werden zu lassen, um Vorlauf, Herzstück und Nachlauf so genau wie möglich zu trennen. Wir sind beeindruckt von Simon Kramer und seiner spürbaren Leidenschaft für dieses Genusshandwerk. Zum Wohle!

Text: Torfinn Rothenbühler

Bilder: Felix Brodmann

Zu lesen in der Ausgabe #53