Eine Holzbrücke geht auf Reisen
Sie gehören zu den architektonischen Meisterleistungen im Emmental: die zahlreichen Holzbrücken entlang von Emme, Ilfis und Trub. Eine im wahrsten Sinne des Wortes sehr bewegte Geschichte weiss die gedeckte Wintersei-Holzbrücke bei Hasle-Rüegsau zu erzählen.
Zweifellos zählt sie zu den bekanntesten Brücken im Emmental. Die 58,5 m lange Emme-Überquerung gilt gar als die längste Holzbogenbrücke Europas. Dank einer aufwändigen Umzugsaktion konnte die 1839 ohne Pfeiler im Flussbett errichtete Konstruktion erhalten bleiben, nachdem sie in den 1950er Jahren dem Verkehrsaufkommen auf der Kantonstrasse nicht mehr genügte. Mit der starken Zunahme des Autoverkehrs nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Ruf nach einer modernen Brücke immer lauter, da die Verkehrsverhältnisse vor allem auch für Fussgänger lebensbedrohliche Situationen verursachten. An ihrem ursprünglichen Standort, gegenüber des 1881 eröffneten Bahnhofs Hasle-Rüegsau, verbindet seit 1956 eine Betonbrücke die Gemeinden Halse bei Burgdorf und Rüegsau.
Dem Brückenneubau vorangegangen war eine lange Diskussion. Während sich Heimatschutzfreunde für den Erhalt der Holzbrücke an Ort und Stelle stark machten, reichten die Gemeinderäte von Hasle und Rüegsau insgesamt neun Projekte für eine Betonbrücke beim Regierungsrat ein. Als die Möglichkeit für einen Wiederaufbau der Brücke an einem alternativen Standort noch nicht geklärt war, fürchteten die Gegner der neuen Betonbrücke, dass Hasle-Rüegsau mit dem Abriss der Holzbrücke zu einem «Ort ohne Wahrzei-chen wie tausend andere auch» werden würde. Zur Rettung der Holzbrücke starteten die Heimatschützer eine landesweite Sammelaktion. So konnte die 1955 in ihre Einzelteile zerlegte Brücke 1957/58 rund 800 m flussabwärts am heutigen Standort Wintersei wieder aufgerichtet werden.
Verlust von Menschenleben, Pferden und Fuhrwerken
Letztendlich ging es beim Engagement der Heimatschützer nicht nur um den Erhalt des Wahrzeichens und des baukulturellen Erbes. Der Stellenwert der Wintersei-Brücke leitet sich auch von der Geschichte um den langwierigen Kampf für eine feste Überquerung der Emme bei Hasle-Rüegsau ab. «Es bedarf des Aufwands aller Kräfte, es müssen Menschenleben umkommen, bis die Regierung der gnädigen Herren die so notwendige Verbindung zwischen den beiden Ufern bewilligt», hielt die historische Erzählung Die Brücke von Rüegsau (1926) fest. Bereits im 17. Jahrhundert baten die Rüegsauer die Landvögte zu Brandis, ihnen eine Bewilligung zur Erstellung einer festen Holzbrücke zu erteilen. Die Rüegsauer waren auf die Brücke in Lützelflüh angewiesen, wollten sie Handel mit dem oberen Emmental treiben.
Bei tiefem Wasserstand versuchten Fuhr-leute, dem Brückenzoll in Lützelflüh zu entgehen, indem sie ihre Fuhrwerke einfach durch das Flussbett leiteten – was nicht selten mit dem Verlust von Mensch-enleben, Pferden und Fuhrwerken endete. Für die Hasler war der Bau eines für Ross und Wagen passierbaren Übergangs weniger dringlich. Ein wackeliger Steg zwischen Rüegsauschachen und Hasle, der bei Hochwasser oft weggerissen wurde, schien ausreichend, da die Hasler damals als Bauern kaum Handelsbeziehungen mit den Rüegsauern unterhielten. Es sollten noch Jahrzehnte ins Land ziehen, bis 1763 eine erste, ungedeckte Holzbrücke die beiden Gemeinden verband und sich beim Hasler Brückenkopf Gewerbe-
betriebe ansiedelten – so etwa eine Brauerei, eine Hutfabrik und eine Weberei.
Die kolossalen Holzbögen werden mithilfe von Kränen abgebaut. Ein Bogen wiegt ca. 15 Tonnen. Der Aussenrand hat eine Länge von 63 m.
Zerstörung der ersten Holzbrücke 1837
Die von den Rüegsauern ohne staatliche Hilfe (aber mit Unterstützung der Nachbargemeinden) erstellte Brücke fiel dem Jahrhunderthochwasser von 1837 zum Opfer. Eindrücklich festgehalten hat Gotthelf das Ereignis in seiner Erzählung Die Wassernot im Emmental: «Tobend wütete die Emme das Tal hinunter, viele hundert Fuss breit, fast von einem Emmenrain zum andern, Hasle und dem Rüegsauschachen zu. Dort hatten die Winkelwirtschaften sich längst geleert, männiglich ängstlich die dreifach gejochte Brücke verlassen, die mit ihren engen Zwischenräumen den Holzmassen den freien Durchgang wehrte. Hier wie in allen obern Orten dachte kein Mensch an Maßnahmen zur Schirmung der Brücken, wie es doch in früheren Zeiten üblich war und namentlich bei der Haslebrücke. Die gehemmte Emme bäumte Tanne auf Tanne, Trämel auf Trämel, bis weit oberhalb der Brücke türmten sich die krachenden Holzhaufen. […] Die Brücke brach in zwei Teile, diese kreuzten sich majestätisch auf der Emme, schwammen aufrecht einige hundert Schritte weit hinunter, pflanzten dort nicht weit von beiden Ufern sich auf, stellten das Bild zweier zerstörten Sägemühlen dar, und unglaubliche Holzmassen fingen sich an denselben.»
Der schrittweise Abbau der Brücke von der temporären Notbrücke, der sogenannten “Noti” aus gesehen. Die Hilfs-pfeiler aus Beton für den Bau der neuen Brücke wurden bereits erstellt.
Neubau als gedeckte Brücke 1839
Bis zum Zeitpunkt der Hochwasserkatastrophe 1837 waren die Rüegsauer alleine verantwortlich für Unterhalt und Betrieb der Brücke, für welche sie lange hatten kämpfen müssen. Weil sie die Brücke nicht bräuchten, beteiligten sich die Bewohner von Hasle nicht direkt am Bau der ersten Holzbrücke und weigerten sich, Unterhaltsbeiträge zu leisten. Als es um den Ersatz der weggeschwemmten Brücke ging, war die Neuerstellung des Übergangs weniger umstritten: Das Hochwasser hatte weitere Brücken im Emmental zerstört. Also wurde der Bezirksingenieur im selben Jahr beauftragt, Pläne und Kostenvoranschläge für den Wiederaufbau der Rothachenbrücke, der Schüpbachbrücke, der Zollbrücke bei Lauperswil sowie der Brücke bei Hasle-Rüegsau zu erstellen. Weil inzwischen im Kanton Bern für Brücken- und Strassenbauten seit Inbetriebnahme der ersten Holzbrücke bei Hasle-Rüegsau weiterführende gesetz-liche Bestimmungen erlassen worden waren, wollte man den Gemeinden den Bau der neuen Brücke auf eigene Kosten nicht zumuten. Bereits 1839 konnte die gedeckte Holzbrücke – so wie wir sie heute kennen – eröffnet werden und wurde zum gemeinsamen Wahrzeichen der beiden Gemeinden. Etwas abseits grösserer Verkehrsströme verbindet sie seit dem Umzug und der Wiederaufrichtung 1958 zwei Gemeindestrassen miteinander.
Text: Hubert Schacher
Bilder: Hedi Moser